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Keine Verlierer weit und breit

Merkel und Seehofer präsentieren »Regelwerk zur Migration« als gemeinsamen Erfolg, samt faktischer Obergrenze

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Angela Merkel hatte es die Quadratur des Kreises genannt, die sie gemeinsam mit Horst Seehofer und seinen CSU-Granden zustande bringen wollte. Die Quadratur, also das Ergebnis der zehnstündigen Runde vom Sonntag findet sich in einem »Regelwerk zur Migration«, das die Partner ausgehandelt haben, und liest sich so: »Wir bekennen uns zum Recht auf Asyl im Grundgesetz sowie zur Genfer Flüchtlingskonvention und zu unseren aus dem Recht der EU resultierenden Verpflichtungen zur Bearbeitung jedes Asylantrags.« Und danach: »Wir setzen unsere Anstrengungen fort, die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren, damit sich eine Situation wie die des Jahres 2015 nicht wiederholen wird und kann ... Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylsuchende, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.« Verpflichtung zum Flüchtlingsschutz plus Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen ist gleich Quadratur des Kreises. Das Papier nennt zugleich die Möglichkeit von Ausnahmen in Sondersituationen, in denen die Zahl korrigiert werden könne - nach oben oder unten.

Das Wort »Obergrenze« findet sich in dem anderthalbseitigen Text nicht, aber wie die Grünen-Vorsitzende Simone Peter am Montag zutreffend feststellte: Die genannte Zahl von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr sei »natürlich schon so etwas wie eine Obergrenze«. Das wirke »am Ende doch wie ein Deckel«. Genau damit haben die Grünen nun ein Problem. Denn es übersteigt eindeutig ihre eigenen Bekundungen der eigenen Kompromissfähigkeit zu dem Thema. Eine Absage war die Reaktion von Cem Özdemir, Kovorsitzende der Partei, aber nicht, der sich »gespannt« zeigte, »wie sie uns das erklären«. »Das ist jetzt die Position der CDU/CSU, aber es ist nicht die Position einer künftigen Regierung«, sagte Özdemir im ZDF-»Morgenmagazin«.

Ein bisschen sauer geradezu schien FDP-Generalsekretärin Nicola Beer über das Zögern der Grünen zu sein. Sie selbst sieht im Regelwerk für Migration bereits eine gute Grundlage für Sondierungsgespräche, wie sie bekannte. Und deshalb: »Wir als Freie Demokraten können wenig nachvollziehen, dass es jetzt schon Äußerungen von den Grünen gibt ..., die vieles in Bausch und Bogen verdammen.« Immerhin nannte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, die Unionseinigung im SWR zwar einen »Formelkompromiss«, doch müsse dieser nun genauer angeschaut werden. Inzwischen wird sie darin entdeckt haben, dass auch die Liste der sicheren Herkunftsländer um Marokko, Algerien und Tunesien erweitert werden soll.

In dem Unionspapier sind konkrete Maßnahmen festgehalten, mit denen die begrenzte Gesamtzahl der Flüchtlinge gesichert werden soll: Fluchtursachenbekämpfung, Zusammenarbeit mit Herkunftsländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, Schutz der EU-Außengrenzen, Asylverfahren an den Außengrenzen sowie die Reform des Dublin-Systems. In Deutschland sollen ankommende Flüchtlinge in »Entscheidungs- und Rückführungszentren« untergebracht, ihre Asylverfahren vor Ort schnellstmöglich entschieden werden. Pro Asyl wies in einer Stellungnahme darauf hin, dass Obergrenzen ein Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist. »Menschenrechte kennen keine Obergrenze, niemand darf in eine Situation, in der Folter oder unmenschliche Behandlung droht, zurückgewiesen werden.« Auch die im Papier weiter vorgesehene Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten sei mit einer Obergrenze nicht vereinbar, »reine Willkür und damit grundgesetzwidrig«, so Pro Asyl.

Die SPD findet sich in ihre Oppositionsrolle im Bundestag und übte scharfe Kritik an dem Kompromiss der Union, den SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles in der »Neuen Osnabrücker Zeitung« als »Scheineinigung« bezeichnete. Der Konflikt bleibe. »Einziger Zweck« sei es, die Tür für Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen aufzustoßen. LINKE-Innenexpertin Ulla Jelpke sprach von einer »menschenrechtlichen Bankrotterklärung«. Und LINKE-Fraktionschef Dietmar Bartsch wies darauf hin, dass das Bekenntnis der Union zum Asylrecht kein Verdienst, sondern Anerkennung der Kräfteverhältnisse im Bundestag ist. Das Grundrecht zu ändern, brauchte es eine Zweidrittelmehrheit, die an SPD und LINKEN scheitern dürfte. Vor der Presse bestanden Angela Merkel und Horst Seehofer am Montag darauf, dass es sich um einen echten Kompromiss handele. Es gebe keine Verlierer, beide Seiten seien aufeinander zugegangen. Im Papier ist auch zu lesen, dass ein »Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz« erarbeitet werden soll. Das wollen auch FDP und Grüne.

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