Frankreich von unten gesehen

Sophie Divry über die Misere von Millionen

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Kontostand bestimmt das Bewusstsein - auch in Frankreich. Sophie verliert beim Blick auf die Haben-Seite ihres Kontos fast die Contenance ihrer bürgerlichen Erziehung. Sie lebt in einer winzigen Wohnung in Lyon, ist arbeitslos und hat eine notwendige Meldung beim Amt unterlassen, sodass ihre Sozialhilfe nicht fristgemäß eingeht. Früher war sie verheiratet und bei einer Tageszeitung beschäftigt. Jetzt schreibt sie ihren ersten Roman. Die Schriftstellerin als Ich-AG?

Die deutlich links stehende, 1979 in Montpellier geborene Sophie Divry klagt in ihrem Roman »Als der Teufel aus dem Badezimmer kam« diese Verhältnisse an. Aber sie belässt es nicht bei dieser Anklageschrift. Sie schreibt einen temporeichen, gelegentlich ins Groteske oder auch in Fantasy abweichenden Roman, der nach literarischem Ausdruck für die Misere von Millionen sucht. Sie findet ihn auch in deutlichen Sexszenen, manchmal auch zu dritt. Einen dieser beiden Wollüstlinge trifft sie dann in anderer Rolle im Amt wieder. Kein gutes Wiedersehen …

Dieser kleine Roman hat seine Qualitäten in der schonungslosen Offenlegung der inneren Verfassung der Ich-Erzählerin. Ihre Verzweiflung wirkt so authentisch, dass vielleicht auch eigene Erfahrungen der Autorin dahinterstecken. Verzweiflung und Demütigung durch einen Kontostand, der nur noch ungesunde Ernährung zulässt, keinerlei Abwechslung erlaubt und gerade noch eine bezahlte Mitfahrmöglichkeit zur Familie anlässlich einer Kindstaufe möglich macht. Endlich wieder satt essen, sodass Magen und Darm rebellieren!

Das Schicksal von Hunderttausenden, nicht etwa nur in Frankreich, die einer gnadenlosen Bürokratie ausgeliefert sind, die manchmal von mildtätigen Menschen ausgehalten werden, die nur gelegentlich Jobs zum Mindestlohn bekommen und sich dabei vom Bruder des Arbeitgebers angrabschen lassen müssen - die Stimmung, die Verzweiflung dieser gedemütigten Menschen, ihre Perspektivlosigkeit und ihr langsames Abstumpfen sind Gegenstand dieses Romans, der der angehenden Schriftstellerin im Roman immerhin wohl ein Stipendium einbringt.

Sophie Divry hat mit diesem Buch in Frankreich Furore gemacht und wird auch hier mehr als nur Anerkennung ernten. Der Preis des kleinen Romans liegt allerdings über dem Kontostand der Protagonistin. Woher nehmen und nicht stehlen?

Sophie Divry: Als der Teufel aus dem Badezimmer kam. Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Ullstein, 272 S., geb., 21 €.

Lesung der Autorin am Freitag um 16 Uhr im Frankreich-Pavillon der Frankfurter Buchmesse.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal