Die leichtfertige Religion

Der Film »Borg/McEnroe« erzählt die Geschichte des legendären Wimbledon-Finales von 1980

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Das erste Bild: Blick eines Mannes, der sich den Tennisschläger vors Gesicht hält. Björn Borg. Es ist, als schaue er durchs Gitter einer Gefängniszelle. Was er lebt, ist eine Zelle. Der Erfolg drückt auf Leben und Lebensgefährtin. Ein Bild wenig später: Der feinnervig Muskulöse turnt eine Waage auf der Balkonbrüstung überm Meer - als ersehne er den Absturz.

Der Film »Borg/McEnroe« des Dänen Janus Metz (Kamera: Niels Thastum) erzählt das grüblerische, von Depression und Aggression infizierte Vorfeld einer Sternstunde des Sports. Im Juli 1980 in Wimbledon treffen sie erstmals in einem Grand-Slam-Finale aufeinander: Borg, der 24-jährige Schwede, steht vor seinem fünften Titel; McEnroe, der 20-jährige US-Amerikaner, steht vor der Chance, einen König zu stürzen.

Jeder Sportfilm legt fest, und er legt frei. Er legt den menschlichen Willen frei, Leben unbedingt zu steigern, und er legt mit klarer Eindeutigkeit eine Konsequenz fest: Sieg oder Niederlage. Nichts dazwischen. Dieser zwanghafte Schematismus reizt, die Perspektive zu verschieben. Und also just das Scheitern als wahren Sieg zu erzählen, als einen Sieg über Ängste oder Einsamkeit oder Ausgrenzung. Sport ist ein Sprungversuch - über den eigenen Schatten. Im Scheinwerferlicht, das die Haut aufreißt.

»Duell zweier Gladiatoren« - der Untertitel benennt das Erregungssoll für die Öffentlichkeit: das Arena-Ambiente, das Ausgeliefertsein. Im Finale spricht der BBC-Reporter vom »Gewehrlauf«, in den beide Tennis-Giganten schauen. Ein Brachial-Befund, der den Sport aufs Kriegsgelände zerrt. Immer wieder sind es die Gesichter in Großaufnahme, die den Untergrund dessen erzählen - diese Peinigung durch Treibjagden hin zum Limit. Der Borg von Sverrir Gudnason: einschneidend ernst, reizbar verschlossen, von nervöser Geladenheit, von einem Beben erfasst, das von innen gegen den Körper drückt - und nur unter Aufbietung aller Kräfte gebändigt wird. Der McEnroe des Shia LaBeouf blickt naiv fast, erwartungstrotzig, aber auch dieses jungenhaft Freche und Offene kennt bereits den elegisch hingenommenen Sog der Fremdsteuerung. Unter Mühen verabschiedet sich McEnroe von seinem aufbrausenden Gemüt, das sogar die gurrenden »Scheißtauben« auf dem Dach des Center Court anschreit.

Die Szenen des Endspiels gehören zu den Höhepunkten. Mitreißend fotografiert. Die Bälle, die auf die Bespannung der Schläger knallen. Ein atemberaubender Clinch. McEnroe: aufmüpfig weit vorn am Netz, Borg: die Rückhand entlang der Linie, das Vorhand-Volley. Spannende Returns, das Spiel zieht und zieht sich. Thriller-Tennis. Immer wieder: Satzball oder Matchball. Stundenlang. Bis Borg als Sieger erschöpft auf die Knie fällt.

Naturgemäß bietet der Schwede mehr Lebensstoff als McEnroe, so bleibt es in der zügig rückblendenden, dichten Collage beider Biografien zuvörderst doch ein Film über Borg. Ein Film über Glück und Last des Talents, über den Verkauf des Lebens an eine kaltheiße Druckkammer, aber eben auch über jenen Kitzel, der Verschleiß und Triumph ununterscheidbar hält.

Es gibt betont beiläufig gesetzte Momente großer Rührung. Wenn in der hochkonzentrierten, nahezu erbitterten Spannung des Finales Borg an McEnroe vorbeigeht und, als wäre er Coach seines Gegners, einfühlsam flüstert: »Spiel einfach dein Tennis!« Zum Schluss sehen sich beide noch einmal am Flughafen. Im belanglosen Freundlichkeitston, nach den Etappen des Grolls und des Frostes plötzlich: die Ahnung einer keimenden großen Freundschaft. McEnroes sympathisch ungelenker Eisbrecher-Satz: »Wie wär’s mit einer Umarmung?«

Die Freude am Tennis hat Martin Walser als »leichtfertige Religion« bezeichnet, »gefeit gegen Fundamentalismus: Ehrgeiz ja, Eifer nein«. Es ist eine Religion, »die nicht weiter hinaufreicht, als ein Tennisball fliegen kann«. Für diesen hin- und herfliegenden Ball muss nicht missioniert werden, Apostel sind nicht gefragt. Was man sieht, ist, was man sieht. Mehr nicht, nicht weniger. Basta. Genau in diesem Sinne gelang Metz ein gefühlsversierter, zudem nicht überambitionierter Film. Es ist bei aller profitkritischen Sicht keine Abrechnung; die Geschichte bleibt inmitten der Grundhärten doch eine Hommage. An die Grenzüberschreitung und an beide Kontrahenten. Der Film bekennt sich zur Verehrung, denn just dies ist das Schöne am Sport: jemandem folgenlos verfallen zu dürfen.

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