Sport und Blumen braucht das Land

Oliver Kern wundern die verschiedenen Maßstäbe, die an Gartenausstellungen und Sportveranstaltungen angelegt werden

Kann man Blumen mit Bobs vergleichen? Einen Versuch ist es wert. Am vergangenen Sonntag fanden gleich zwei Dinge ihr Ende: die Internationale Gartenausstellung (IGA) in Berlin und die Träume jener Tiroler, die sich um Olympische Spiele bewerben wollten. Sie verloren eine Volksbefragung wie zuvor schon die Olympiamacher in München und Hamburg. Man mag es kaum glauben, aber Gartenausstellungen und Olympische Spiele haben wirklich so einiges gemein, auch wenn sie sehr unterschiedlich diskutiert werden.

Zum Abschluss vermeldete die IGA, dass statt der avisierten zwei Millionen Besucher doch nur 1,6 Millionen gekommen waren, also könne die IGA auch nur 20 statt der geplanten 30 Millionen Euro ans Land zurücküberweisen. Berlin hatte den Durchführungsetat ohnehin bereits mit zehn Millionen bezuschusst. Klingt danach, als hätte das Land also 20 Millionen Euro für die IGA ausgegeben. In Wahrheit waren es jedoch 90 Millionen, die aus Berliner Kassen investiert wurden. Denn rechnet man alle Infrastrukturmaßnahmen rund um den IGA-Park im Stadtteil Marzahn mit ein, betrug der Gesamtetat 125 Millionen Euro.

Auch das Internationale Olympische Komitee lässt gern in zweierlei Budgets rechnen: Durchführung der Spiele und Infrastrukturmaßnahmen. Letztere helfen zwar auch den Spielen, danach aber vor allem der Allgemeinheit: neue oder sanierte Flughäfen, Zugstrecken, Bahnhöfe oder Straßen zum Beispiel. Auch neue Wohnhäuser werden in der Regel nach Olympia nicht abgerissen, ebenso Restaurants, Parkanlagen - oder eben Sportstätten, die jedoch in den Durchführungsetat fallen.

Die Spiele an sich, so argumentieren Befürworter seit vielen Jahren, seien ein gewinnbringendes Geschäft. Und von den Investitionen drum herum profitiere die Gesellschaft später jahrzehntelang. Olympiagegner rechnen lieber alles zusammen und kritisieren hohe Defizite. Ohnehin könnte man mit den Milliarden - die ohne Olympia gar nicht zur Verfügung stehen - doch so viel Besseres anstellen.

Bei der IGA geht es »nur« um Millionen. Dafür wurden unter anderem auf einen grünen Hügel eine Bob- und eine Seilbahn gebaut. Ob die nachhaltiger sind als jene in Tirol, die schon da sind und wirklich genutzt werden, sei dahin gestellt. Vielmehr wird nun gepriesen, wie sehr der Randbezirk vom schöneren Park und all den Investitionen in die Verkehrsanbindung profitieren werde. Warum kritisiert hier niemand, dass dadurch vermutlich bald die Mieten in der Umgebung steigen werden? Warum fragt kaum jemand, ob Marzahn die Gartenausstellung überhaupt brauchte - dort, wo schon vorher die »Gärten der Welt« blühten? Warum regt sich niemand darüber auf, dass IGA-Betreiber zum dritten Mal in Folge ihre Zuschauerziele verfehlten und das dann immer auf das schlechte Wetter schieben? Oder dass die ursprünglich geplanten privaten Investitionen von 25 Millionen Euro auf 15 Millionen schrumpften? Oder dass 70 Millionen Euro hinter Begriffen und Institutionen wie »Umfeldinvestitionen« und »GRW-Mitteln« versteckt werden, wenn auch dahinter nur 100-prozentige Töchter des Landes Berlin oder des Bezirks stecken?

Ich war vier Mal bei Olympischen Spielen, einmal als Tourist, dreimal fürs »nd«. Ich war immer Olympiafan. Das macht mich parteiisch. Ich verschließe deswegen aber nicht die Augen vor den Schattenseiten der Spiele. Fast jede Kritik am IOC halte ich für berechtigt. Wer braucht schon Rodelbahnen in Peking oder eine Eisschnelllaufhalle am Schwarzen Meer? Irgendwann wird aus nützlichen Investitionen nur noch Größenwahn. Den muss das IOC stoppen - auch wenn es schwierig wird ohne Bewerber wie Tirol, die nur wenige Neubauten benötigen. Ich bleibe dennoch Fan. Erst wer einmal erlebt, in welchen Rausch sogar Sportmuffel für gut zwei Wochen verfallen können, erkennt die Faszination der Spiele. Bei vielen hält er länger an, und das kann nur gut sein.

Hier ist der Punkt: Gleiche Maßstäbe sollten für alle gelten. Ich bin kein IGA-Gegner. Ich war mit meiner Familie da, bin mit der Seilbahn gefahren, gerodelt und habe zwischen wunderschönen Blumen gepicknickt. Ich fahre bestimmt bald noch mal hin. Die 125 Millionen Euro sind mir egal. Ich gönne dem Bezirk das Upgrade. Ohne solche Projekte würden Berlin-Marzahn oder London-Stratford weiter als Schmuddelecken gelten, um die Touristen und Einwohner anderer Bezirke einen großen Bogen machen. Ja, sie bringen Probleme mit sich, doch die sind lösbar. Alles andere nenne ich Fortschritt.

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