Merkel soll an allem schuld sein

In der Union rumort es nach zwei schwachen Wahlergebnissen immer lauter

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Vertreter der sächsischen CDU hatten die Verantwortlichen für die Krise ihres Landesverbands schnell gefunden. Landtagsfraktionschef Frank Kupfer sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk, dass die Politik der Bundesregierung die Hauptschuld an den Stimmenverlusten seiner Partei in Sachsen trage. Der CDU-Mann haderte vor allem mit der Flüchtlingspolitik seiner Partei und forderte Kanzlerin Angela Merkel dazu auf, »zumindest in ihrer Haltung Konsequenzen« zu ziehen.

Wegen des schwachen Abschneidens der Konservativen bei der Bundestagswahl und wegen des Aufstiegs der AfD, die am 24. September stärkste Kraft in Sachsen wurde, hatte Ministerpräsident Stanislaw Tillich am Mittwoch seinen Rücktritt angekündigt. Frank Kupfer deutete nun an, mit welchen Strategien seine Partei die Wähler vom rechten Rand zurückgewinnen will. Als ein »Kernthema« der Union nannte der Landespolitiker die »innere Sicherheit«, die immer dann von der Union betont wird, wenn es darum geht, Gesetze zu verschärfen, härtere Strafen zu ermöglichen und die Polizei aufzurüsten. Auch die »Wirtschaftspolitik« sei ein »Kernthema« der Partei, so Kupfer. In neoliberaler Manier will er »Unternehmen von Bürokratie entlasten«. Die Unternehmer hätten in der Mehrzahl AfD gewählt, »weil sie ein Zeichen setzen wollten«. Was er mit »Bürokratieabbau« konkret meinte, war in dem Interview von Kupfer nicht zu erfahren. Es ist allerdings bekannt, dass es in der Union etwa Bestrebungen gibt, die Dokumentationspflichten beim Mindestlohn zu reduzieren. Das dürfte in vielen Fällen darauf hinauslaufen, dass Unternehmer fehlende Kontrollen ausnutzen, um zulasten der Beschäftigten bei den Arbeitszeiten zu tricksen.

Die von Kupfer angesprochenen Themen zeigen, dass die Union nicht nur über eine restriktivere Flüchtlingspolitik debattiert. Ebenso wichtig sind Bestrebungen, kleine soziale Reformen des bisherigen Koalitionspartners SPD in der kommenden Legislatur bis zur Unkenntlichkeit zu verändern. Die FDP und Teile der Grünen, mit denen die Union im Bund Sondierungsgespräche führt, dürften dabei verlässliche Partner sein.

Zwar bemüht sich die Unionsspitze darum, während der Sondierungsgespräche geschlossen zu wirken, doch intern rumort es. Die sogenannte Werte-Union, ein bundesweiter Zusammenschluss von Mitgliederinitiativen der CDU und CSU, der auch offen für Schreiber der rechtsradikalen Zeitung »Junge Freiheit« ist, forderte öffentlich Merkels Rücktritt. Anlass hierfür war die Niederlage der CDU bei der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag. Sonderlich großen Einfluss hat die Werte-Union allerdings nicht. Sie arbeitet zuweilen mit dem Berliner Kreis von CDU und CSU zusammen, in dem sich einige ehemalige Abgeordnete sowie aktuelle Hinterbänkler tummeln.

Dass sich Merkel vorerst keine Sorgen um ihren Job machen muss, liegt auch daran, dass sich intern noch niemand als ihr Herausforderer hervorgetan hat und sie in der Führungsebene weiterhin viele Unterstützer haben dürfte. Über Ambitionen des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Finanzministerium, Jens Spahn, wird indes spekuliert. Er wird in rechten Kreisen unter anderem dafür geschätzt, dass er die doppelte Staatsbürgerschaft von Deutsch-Türken infrage stellte und kürzlich am Wahlabend in Wien Fotos von sich mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Internet verbreitete. Der österreichische Wahlsieger will sein Land vor Geflüchteten abschotten. Zugleich pflegt Spahn gute Kontakte zu Politikern der Grünen, die für die Union als Partner im Bund und in den Ländern immer wichtiger geworden sind. Der 37-Jährige hat aber noch Zeit. Merkel ist inzwischen 63 und könnte ohnehin vor ihrer letzten Amtszeit stehen.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther forderte deswegen eine langfristige Planung. »Die Menschen haben ein Rieseninteresse, dass Angela Merkel das Land weitere vier Jahre erfolgreich führt. Sie wollen aber dann auch Perspektiven sehen, wie es danach weitergeht«, sagte der CDU-Politiker dem »Focus«. »Unser mäßiges Wahlergebnis bei der Bundestagswahl legt uns ans Herz, personell eine Erneuerung anzugehen«, sagte er. Die CDU brauche »neue Gesichter in Führungspositionen, die dafür Gewähr bieten«.

Noch größere Probleme als Merkel hat CSU-Chef Horst Seehofer. Der bayerische Ministerpräsident appellierte in den vergangenen Tagen an seine Partei, die internen Debatten zu verschieben. Zuvor hatte ihn unter anderem die Münchner CSU zum Rücktritt aufgefordert. Seehofer will nun Zeit gewinnen. Der ursprünglich für Mitte November geplante Parteitag der bayerischen Konservativen, wo unter anderem die Vorstandswahlen anstehen, wird vermutlich erst Mitte Dezember stattfinden. Als Begründung hieß es am Donnerstag aus der CSU, dass auf dem Parteitag auch die Ergebnisse der Koalitionsgespräche über die Bildung einer neuen Bundesregierung besprochen werden sollten.

Er habe einen Mitstreiter verloren, sagte Seehofer nach Tillichs Rücktritt. Dann fügte er rätselhaft hinzu: »Aber er ist ja auch behandelt worden, wie man eigentlich mit Menschen nicht umgehen sollte.« Zwischen Seehofer und Tillich gibt es einige Parallelen. Sie stehen in der Union sehr weit rechts und haben viele Wähler an die AfD verloren. Die CSU erhielt bei der Bundestagswahl ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949.

Die Unionsparteien machen sich nun Sorgen wegen der Landtagswahlen. Diese sollen in Bayern im Herbst kommenden Jahres stattfinden, in Sachsen im Sommer 2019. Nach einer aktuellen Umfrage des Hamburger Institutes GMS im Auftrag von »17.30 SAT.1 Bayern« würde die CSU ihre absolute Mehrheit verlieren und müsste sich einen Koalitionspartner suchen. Demnach wollen im Freistaat nur noch 41 Prozent der Wähler für die Konservativen stimmen.

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