»Ich werde niemals für die Deutschen spielen«

Django Reinhardts Biografie beim Roma-Filmfestival

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 4 Min.

In einer langen Szene sieht man nur das Instrument, die Finger der linken Hand, die mit beeindruckender Schnelligkeit über den Hals der Gitarre fliegen, Saiten, die gezupft und gezogen werden, als wolle der Musiker daraus wie aus Fäden etwas spinnen. Das Publikum beginnt langsam, die Musik zu verstehen, sich auf den ungewohnten Rhythmus des Quintetts einzulassen. Bald kann niemand im Saal sich mehr dagegen wehren, von den Klängen eingenommen zu werden und sich zu ihnen zu bewegen.

Der Gitarrist Django Reinhardt gilt als Begründer und Vorreiter des europäischen Jazz. Wegen seiner schweren Verbrennungen an der rechten Hand entwickelte er eine virtuose neue Spieltechnik, bei der er für die Melodie nur den Mittel- und Zeigefinger benutzte - und die er bis zur Perfektion ausreizte.

Jean »Django« Reinhardt, 1910 in Belgien geboren, war Manouche, also französischsprachiger Sinto. In den 30er Jahren erlangte er zunächst in Frankreich große Berühmtheit, füllte alle Pariser Klubs. Auch deutsche Besatzungsoffiziere fanden Gefallen an dem Musiker und boten ihm eine Tournee in Deutschland an - im Auftrag von Nazi-Propagandaminister Goebbels höchstpersönlich. Django, der Sinto, ein fahrender Musiker, aufgewachsen in einer Wagenburg, sollte vor den größten Nazi-Persönlichkeiten Konzerte geben, während die Faschisten die strukturierte Vernichtung von Sinti und Roma begannen und sie in Arbeitslagern töteten. »Ich werde niemals für die Deutschen spielen«, ist Django entschlossen. »Du hast keine Wahl«, sagt eine Freundin.

Étienne Comars Film »Django - Ein Leben für die Musik« erzählt die Geschichte des Jazzmusikers auf der Flucht vor dem NS-Regime. Obwohl Reinhardt dank seiner Beliebtheit zunächst nicht das gleiche Schicksal droht wie anderen verfolgten Sinti und Roma in Europa, zieht er es vor, die gefährliche Flucht in die Schweiz zu wagen, anstatt in Deutschland Konzerte zu spielen. Die Situation spitzt sich jedoch immer weiter zu, Djangos Familie und die Mitglieder seiner Band, die ihn begleiten, erfahren, dass immer mehr Sinti und Roma deportiert und ihre Siedlungen zerstört werden. »Die, die in den Zug steigen, kommen nicht wieder zurück«, warnt ein Bekannter.

Django gerät während seines Fluchtversuchs erneut in die Hände der deutschen Wehrmacht - noch immer wollen sie ihn in Deutschland spielen sehen. Django hat keine Wahl mehr. Er muss seine Musik mit denen teilen, die seinesgleichen auslöschen wollen. Und er muss dabei ihren Regeln folgen. Denn auch die Musik muss gleichgeschaltet werden, niemand soll schließlich verrückt werden »von der Affenmusik«. In Dur sollen sie spielen, Breaks sind nicht erlaubt und auch kein Blues. Bei den Soli, die nicht länger als fünf Sekunden dauern dürfen, ist es verboten, mit dem Fuß zu wippen. Für den Musiker ist das Konzert wie der Gang zur Schlachtbank.

»Django« eröffnete am Donnerstagabend in der Evangelischen Akademie in Mitte das Roma-Filmfestival »Ake Dikhea?«, auf Deutsch so viel wie »Na, siehst du?«. Sehen - oder viel mehr erkennen - sollen die Zuschauer an diesen Tagen vor allem, dass die noch immer weit verbreiteten stereotypen Vorstellungen über Roma und Sinti nicht der Realität entsprechen. In Deutschland und Europa ist Antiziganismus nach wie vor ein großes Problem. Sinti und Roma werden von Politik und Gesellschaft diskriminiert und in ihren Herkunftsländern noch immer verfolgt. Aus Deutschland werden regelmäßig Menschen in den Westbalkan abgeschoben. Diejenigen, die noch hier sind, leben oft in großer Armut und gesellschaftlich isoliert. Und auch als Opfer des Nationalsozialismus werden sie oft vergessen oder nur am Rande erwähnt - dabei töteten die Nazis während des Holocausts etwa 500 000 Sinti und Roma.

Das Filmfestival stellt laut eigener Aussage drei Ansprüche an die ausgewählten Filme: Authentizität, Individualität und gesellschaftliche Relevanz. Der künstlerische Leiter des Festivals, Hamze Bytyci, hofft, dass sich in der Filmlandschaft eine neue, authentische Bildersprache durchsetzt. »Ake Dikhea?« soll dem Publikum die Welt durch die Augen von Roma und Sinti zeigen. Welche Themen sind der größten europäischen Minderheit wichtig, wie sieht sie sich selbst, und wie will sie gesehen werden? Die Filme sollen daher »das höchste Maß an Reflexion von Vorurteilen gegenüber Sinti und Roma ausweisen«. Neben Filmaufführungen finden im Rahmen des Festivals unter anderem auch Publikumsgespräche mit Filmschaffenden, Podiumsdiskussionen und Workshops statt.

Roma-Filmfestival »Ake Dikhea?«, bis 22. Oktober, Movimento, Kottbusser Damm 22, Kreuzberg

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