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»Stockhausen fand ich gut«

Michael von Hintzenstern über die »Tage Neuer Musik« in Weimar und die ideologische Färbung der SED-Kulturpolitik

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Ihre »Tage Neuer Musik« in Weimar stehen im dreißigsten Jahr. Sie sind der Gründer. Weimar war und ist eine ziemlich konservative Stadt. Welchen Boden gab es, solch ein Festival ins Leben zu rufen?
Als wir 1988 den Entschluss fassten, zum 60. Geburtstag des westdeutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen sechs Konzerte mit 22 Werken zu veranstalten, war an ein Festival noch nicht zu denken. »Wir« - das waren die Mitglieder einer seit 1980 existierenden Gruppe, die zeitgenössische, experimentelle Stücke spielte und sich 1982 den Namen »Ensemble für Intuitive Musik Weimar« (EFIM) gab. Unser Quartett (Klarinette/Bassklarinette, Violoncello, Live-Elektronik, Tasteninstrumente) war nicht von Anfang an auf Stockhausen fixiert, sondern versuchte sich an Werken der II. Wiener Schule und an neuen Stücken z. B. von Helmut Zapf. Seit 1982 musizierten wir gemeinsam mit dem Kölner Trompeter Markus Stockhausen, einem Sohn des Komponisten. Dass seine »Intuitive Musik« immer mehr in den Mittelpunkt rückte, mag mit guten gemeinsamen gruppendynamischen Erfahrungen zu tun haben.

Aber warum gleich ein ganzes Festival zu Ehren eines umstrittenen Komponisten?
Weil ich ein glühender Verehrer seiner Musik war, die ich sehr gut kannte. Mich ärgerte es, dass er aus ideologischen Gründen verteufelt wurde. Davon zeugt ein 1972 veröffentlichter Artikel seines westdeutschen Kollegen Konrad Boehmer in »Musik und Gesellschaft«, dem Organ des Komponistenverbandes der DDR: »Der Imperialismus als höchstes Stadium des kapitalistischen Avantgardismus«. Dabei scheute man sich nicht, in ein Foto des verhassten Künstlers ein Hitler-Bärtchen hineinzuretuschieren. Dagegen wollte ich antreten. Und deswegen erklangen auch erstmals alle elektronischen Stücke, wofür ich Originalkopien erhielt. Karlheinz Stockhausen, mit dem ich seit 1970 in postalischem Kontakt stand, unterstützte uns dabei in großzügiger Weise.

Michael von Hintzenstern

Als 1988 in Weimar ein Festival für neue Musik aus der Taufe gehoben wurde, war dies ein Experiment - sowohl für die Stadt als auch für das Publikum; erst recht aber für die Kulturpolitik der SED. Schon der Anlass - ein Festival anlässlich des 60. Geburtstags des westdeutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen - war umstritten. Heute ist die jährliche Veranstaltungsreihe, die am vergangenen Wochenende begann, fester Bestandteil des Kulturkalenders der thüringischen Stadt. Der Organist Michael von Hintzenstern war von Anfang an dabei. Mit dem heutigen künstlerischen Leiter des Festivals sprach Stefan Amzoll. 

Sie wählten dafür einen außergewöhnlichen Veranstaltungsort?
Ja - die Dorfkirche in Denstedt, vor den Toren Weimars gelegen, war für uns eine Art Nische. Hier hatte Franz Liszt im Jahre 1860 »Orgelconferenzen« und »Klangexperimente« an der neuen Peternell-Orgel aufgeführt. Ein Ort der »Zukunftsmusik«. Und nun kamen die Zuhörer in Scharen aus allen Teilen der Republik! Radio DDR II schnitt ein Konzert mit. All das war für uns sehr ermutigend, erntete aber auch Kritik seitens des Kulturministeriums, das von unserer »Eigeninitiative« überrascht worden war. In diesem Zusammenhang soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass mir jenes Ministerium ab 1984 die Teilnahme an einer Reihe von Stockhausen-Uraufführungen erlaubt hatte.

Wie ging es dann weiter?
1989 entschlossen wir uns, ein zweites Festival in Denstedt durchzuführen Diesmal mit dem Obertonsänger und Komponisten Michael Vetter (Freiburg im Breisgau), der acht Konzerte mit eigenen Werken gab, an denen wir auch beteiligt waren. Damit begann die Nummerierung. Im Dezember des gleichen Jahres gründeten wir die »Klang Projekte Weimar«, um »frei von ideologischer Beeinflussung« für zeitgenössische Musik einzutreten. Das war die Geburtsstunde unseres gemeinnützigen Trägervereins, der bis heute in Thüringen weitere Konzertzyklen sowie die »Dada-Dekade 2012 - 2022« organisiert. Die von ihm veranstalteten »Tage Neuer Musik« sind seit 1990 in Weimar verwurzelt.

Bestimmt das »Ensemble für Intuitive Musik Weimar« das Festivalkonzept?
Das mag in den ersten Jahren so gewesen sein, da wir ja bereits inhaltliche Vorarbeit geleistet hatten. Ein wichtiger Schwerpunkt war das Anknüpfen an synästhetische Bauhaus-Impulse. Ich führte Zeitzeugen-Gespräche mit dem einstigen Bauhausschüler Kurt Schmidt (Gera) und dem Musikpublizisten Hans Heinz Stuckenschmidt aus West-Berlin. Wir waren eine der ersten Gruppen, die wieder die Bühne im Bauhaus Dessau in der Kombination Tanz - Projektion - Musik »bespielte«. 2009 nahmen wir die Spuren auf, die den Bauhausmeister Lászlo Moholy-Nagy durch die Emigration in die USA und dort speziell zu John Cage führten. Das Bauhaus war immer wieder prägend - auch die Maxime einer »Einheit von Kunst und Technik«!

Was ist typisch für das Festival?
Von Anfang an fassten wir den Entschluss, jedes Jahr ein inhaltliches Motto zu wählen, um die »Tage Neuer Musik« vor Beliebigkeit zu bewahren. Wir wollten keinen Gemischtwarenladen momentanen Komponierens. Deshalb gab es in all den Jahren Titel wie »Musik und Maschine«, »Avantgarde und Spiritualität«, »Amerika - Europa« oder ganz aktuell: »Konzert-Installationen - Installations-Konzerte«. Neue Kammermusik mit Live-Elektronik, multimediale bzw. grenzüberschreitende Projekte und elektroakustische Raum-Musik sollen auch weiterhin das Profil bestimmen.

Als John Cage 1990 nach Ost-Berlin kam, hatte er großen Zulauf. Zwei Jahre später kam Stockhausen nach Weimar, gleichfalls sensationell. Sie ernannten ihn zum »Ehrenpatron« des Festivals und der »Klang Projekte Weimar«. Mit welcher Absicht?
Bei der Wahl der Ehrenpatrone ging es darum, Persönlichkeiten zu ehren, die selbst Musikgeschichte geschrieben haben und sich als Zeitzeugen in das aktuelle Geschehen einbringen. Das waren bisher neben Stockhausen die Komponisten Henry Pousseur (Belgien) und Francis Dhomont (Frankreich) sowie Christian Wolff (USA), also zum einen maßgebliche Wegbereiter der elek᠆tronischen und akusmatischen Musik nach 1950, während der zuletzt Genannte zum anderen ein wichtiger Repräsentant der von John Cage geprägten »New York School of Music« ist. Wir wirken zwar in einer thüringischen Kleinstadt mit Weltruhm, schauen aber gerne über den Tellerrand hinaus! So war das Komponieren im globalisierten Zeitalter letztes Jahr unser Thema!

Und wie sehen die Möglichkeiten für die Zukunft aus?
Ein Motto für 2018 gibt es bereits: »Konzeptuelle Musik«. Das Programm steht längst, die Förderanträge sind gestellt. Dass man eine seit 2009 vom Freistaat Thüringen geförderte halbe Personalstelle ab 2018 in eine Viertelstelle verwandeln und dann gänzlich streichen will, hat uns im Jubiläumsjahr aber hart getroffen.

Bis 28. Oktober; www.dadamenta.eu

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