Hüpfen und Klettern mit Ali Baba

In der Neuköllner Walterstraße wurde Berlins umstrittenster Märchenspielplatz eröffnet

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.
Schnipp, schnapp: Sobald das rot-weiße Flatterband zerschnitten ist, gibt es kein Halten mehr. Unter lautem Gebrüll stürmen etwa 50 Kinder auf Klettergerüst, Sandkasten und Rutsche zu. Die Freude ist riesig. Jetzt haben die Kleinen endlich einen schönen Spielplatz in ihrem Kiez. Vorher stand hier nur ein heruntergekommenes Klettergerüst, auf dem niemand mehr spielen wollte.

Jetzt werden die Kinder in der Walterstraße 22 in die Zauberwelt aus »1001 Nacht« entführt. Das Motiv des Märchenspielplatzes lautet nämlich »Ali Baba und die 40 Räuber«. Da war es naheliegend, dass zur Spielplatz-Eröffnung am Mittwoch neben Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auch die drei Weisen aus dem Morgenland gekommen waren. Und am Nikolaustag war natürlich auch der freundliche Alte mit dem langen Bart mit von Partie.

»Ich bin überglücklich, dass der Spielplatz jetzt eröffnet ist. Die Demokratie hat gesiegt«, sagt Güldane Yilmaz. Sie leitet die Kita »Ali Baba und seine Räuber« am Neuköllner Kranoldplatz in unmittelbarer Nähe der Walterstraße. Ihre Einrichtung sowie die Nachbarkita »Kleiner Fratz« waren an der Konzeptentwicklung für den neuen Spielplatz beteiligt. Dazu wurden auch Ideen der Kinder miteinbezogen. Die Thüringer Firma Spielart gewann den Wettbewerb mit ihrer »Orientalischen Burg mit Basar«.

Wenn Yilmaz die Kinder so unbedarft herumtoben sieht, will sie gar nicht mehr an die Diskussionen denken, die der Spielplatz-Eröffnung vorausgegangen waren. Denn so absurd es auch klingen mag: Ein Spielgerät hatte die Gemüter im Bezirk im Vorfeld erhitzt.

Auf der im orientalischen Stil erbauten Kletterburg prangt thematisch passend ein gelber hölzerner Halbmond. Dieser wurde von einigen als Zeichen einer schleichenden »Islamisierung« gesehen. Im Internet hagelte es Hass-Kommentare, in rassistischer Manier wurde gegen die »Mini-Moschee« gewettert.

Auch die Politik beteiligte sich an der Kampagne gegen den Spielplatz. Der CDU-Politiker Burkard Dregger hatte die Gestaltung als »schwachsinnig« bezeichnet. Eine Wortwahl, die er später revidierte. Berlin habe Wichtigeres zu tun, als sich um einen Spielplatz zu streiten, sagte Dregger.

Das sah die AfD anders. Politiker der Partei beteiligten sich an der Hetze gegen den angeblichen »Moscheespielplatz«. Bezirksbürgermeisterin Giffey hatte die Kritik von Anfang an zurückgewiesen. »Märchen sind für alle da. Die Kinder können auf dem Spielplatz vorurteilsfrei in eine Fantasiewelt eintauchen«, sagt sie bei der Eröffnung. Abgesehen davon sei der Kletterturm überhaupt keine Moschee, sondern eine orientalische Burg. Giffey hat immer wieder darauf verwiesen, dass es im Bezirk auch viele weitere Spielplätze gibt, die sich thematisch an bekannten Märchen orientieren. So gibt es etwa Themenspielplätze zu Robin Hood, Käpt’n Blaubär, Lukas dem Lokomotivführer, der Arche Noah oder Schneewittchen.

Anne Zielisch hat trotzdem nichts für die Märchenwelt aus »1001 Nacht« übrig. »Ich sehe die Spielplatz-Eröffnung kritisch. Der Halbmond ist nun mal ein religiöses Symbol«, sagt die ehemalige Neuköllner AfD-Bezirksverordnete am Mittwoch. Die Kinder könnten es ja nicht verstehen, aber sie würden unterschwellig indoktriniert. Zielisch wohnt inzwischen in Mitte. Guten Kontakt zu ihren ehemaligen Parteikollegen im Bezirk hat sie offenbar weiterhin. In der kommenden Woche wolle die AfD-Fraktion in der BVV einen Antrag auf Abmontieren des Halbmonds stellen, sagt Zielisch.

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