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Oury Jalloh: Vertuschter Mord möglich

Laut Staatsanwalt sei vorstellbar, dass Polizisten Ermittlungen zu weiteren Todesfällen verhindern wollten

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 2 Min.

Im Fall des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh ging der Dessauer Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann offenbar von einer Vertuschungstat durch Polizisten aus. Die »Mitteldeutsche Zeitung« (MZ) berichtete von einem Aktenvermerk vom April 2017. In diesem hätte Bittmann nicht nur die jahrelang von Polizei und Justiz vertretene These eines Unfalltods durch Selbstentzündung verworfen. Er beschrieb wohl auch konkret ein Szenario, nachdem Beamte den Häftling angezündet haben könnten, um Ermittlungen zu früheren ungeklärten Todesfällen bei der Dessauer Polizei zu verhindern.

Der Vermerk bezieht sich demnach zum einen auf einen Fall von 1997, als ein Mann nach dem Polizeigewahrsam an inneren Verletzungen gestorben war. 2002 kam zudem in der gleichen Zelle wie Jalloh ein Obdachloser ums Leben. Bittmanns These: Den Beamten sei klargeworden, »dass schwere Verletzungen oder gar das Versterben eines weiteren Häftlings neuerliche Untersuchungen auslösen würden«. Diese Sorge »mag zu dem Entschluss geführt haben, mit der Brandlegung alle Spuren zu verwischen«.

Zu Ermittlungsschritten gegen Polizisten kam es nicht, weil die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau das Verfahren im Mai durch die Entscheidung von Generalstaatsanwalt Jürgen Konrad nach Halle abgeben musste. Dort wurde es eingestellt. Konrad hatte laut der »MZ« Mitte November im Rechtsausschuss des Magdeburger Landtags zur Begründung erklärt, dass Gutachter die These von der Selbstverbrennung des Mannes weder belegen noch ausschließen konnten. Angesichts der jüngsten Erkenntnisse eine problematische Äußerung: »Dieser Widerspruch in den Aussagen lässt sich anders als durch Täuschung nicht erklären«, sagte Henriette Quade, Abgeordnete und Innenexpertin der Linksfraktion von Sachsen-Anhalt.

Die LINKE hat als Reaktion auf die neuen Entwicklungen einen Untersuchungsausschuss des Parlaments gefordert. Die Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) müsse darüber hinaus Verantwortung übernehmen. »Um weiteren Schaden vom Amt abzuwenden, muss die Ministerin zurücktreten«, sagte Quade. Keding erklärte am Donnerstag, dass die Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg das Ermittlungsverfahren wieder übernimmt. Zuvor hatte diese der Dessauer Staatsanwaltschaft das Verfahren entzogen.

Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der LINKEN, richtete an die Bundesstaatsanwaltschaft die Frage, ob ihr bei der Ablehnung der Ermittlungen im Fall Jalloh der Anfangsverdacht des Oberstaatsanwalts Bittmann bekannt war.

Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« hat derweil bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe am Donnerstag Anzeige wegen Mordes gegen einen der damals diensthabenden Polizisten erstattet. Mit Agenturen

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