Die Schatten der kalten Monde

Iván Fischer dirigierte Mendelssohn-Bartholdy und Mahler im Konzerthaus Berlin

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Konstellation handelsunüblich: Die beiden jüdischen Komponisten in einem Programm. Kontraste bilden häufig die Würze. Mahler und Mendelssohn zu kombinieren, das hat im konkreten Fall mehrerlei Motiv: Mahlers »Lied von der Erde« ist neben seiner 9. Sinfonie das große Abschiedswerk des Wieners. Mendelssohns »Italienische« hingegen eines der Ankunft. Der Komponist war 24, als er sie schrieb. Er reiste zwar nach Italien, wie es jeder tat, der die Luft der südlichen Künste atmen wollte, aber Italienisches ist in dem Werk nicht zu finden, allenfalls in den tradierten Satzbezeichnungen Allegro, Andante, Moderato und beim Schluss-Satz »Saltarello«. Das ist ein schneller Satz, meist im 6/8-Takt, auch Spring- oder Schreittanz genannt, in dem im gesetzten Fall die Funken nur so stieben. Die ersten drei Sätze reißen einen nicht vom Stuhl, da geht es schnurgerade klassisch zu, und so ging es auch in den Saal. Iván Fischer hatte nicht viel zu tun. Das Konzerthausorchester wäre auch ohne ihn gut zurechtgekommen.

Das Andante verarbeitet das Lied vom Thulenkönig. Es fließt, um nicht zu sagen, trödelt dahin. Das »Con moto moderato« hat anmutige Fagottstellen. Die gesamte Holzbläserriege ist zu loben. Die Trompeten, weniger am Drücker, nicht minder. Daran, die Achtel-Kaskaden im »Saltarello«, unentwegt repetiert, wie die Sprinter ins Ziel zu bringen, schienen die Musikerinnen und Musiker merklich Spaß zu haben.

Dergleichen gibt es bei Mahler in anderer Art auch, und nicht zu knapp, schaut man auf die jäh verarbeiteten Ländler in seinen Sinfonien. Im »Lied von der Erde« für Alt, Tenor und Orchester wäre solch Material allerdings widersinnig. Das Werk sagt nicht nur der Welt ab, sondern auch der Musik, und der eigenen gleich mit. Es taucht ab in existenzielle Untiefen, in die Schatten der kalten Monde. »Das Lied von der Erde« besingt Schönheit und Natur zwar, aber stellt sie als gequälte, todgeweihte dar. Für Mahler war diese Art des Herangehens kein Verwerfen dessen, was bislang aus seiner Feder kam, auch keine bloße Seelenerkundung, sondern Umwandlung, Reflexion, die Notwendigkeit, Druck herauszunehmen aus dem eigenen materiell Gewohnten. Relevant für das Verständnis ist der Hintergrund der Komposition: Sein Inneres war in katastrophalem Zustand. Die Jahre um 1910 verhießen angesichts ökonomischer Expansion, nationalem Geschrei und Langeweile Krieg. Dazu die verdammte Umgebung, die dem Juden Mahler nicht gewogen war und dem Dirigenten der Wiener Hofoper jeglichen Mut nahm. Hinzu kam, dass seine älteste Tochter Maria Anna starb. Jahre zuvor hatte er die »Kindertotenlieder« auf Gedichte von Friedrich Rückert komponiert, dessen zwei Kinder zuvor gestorben waren, während sein eigener Nachwuchs mit Alma Mahler prächtig gedieh. Nun wurde obendrein eine Herzkrankheit bei ihm diagnostiziert. Mahler lag also existenziell ganz unten, während er kompositorisch im Zenit stand. Was anderes, als aus dieser Situation mit veränderter Stimme zu reden? Aus seiner Toblacher Komponierhäuschenperspektive sah er Züge der Alpen. Durchwandert hat er sie nicht, wohl aber deren Klüfte und Schründe, die Unwetter um sie herum seinen Partituren eingezeichnet. Im »Lied von der Erde« fehlt dieser Bereich fast gänzlich. Es ist eins des Verzichts. Abschüssige Fahrten finden nicht statt. Ausgespart die Echos der Kuhglocken, die Schläge des Riesenhammers, der Widerhall der Wiener Jahrmärkte und jenes brüchige Monumentale, das seine Symphonik grell ausmalt. In Hans Bethges Gedichtfolge »Die chinesische Flöte« fand Mahler das geeignete Textmaterial.

Das Werk, selten gespielt, ist publikumsunfreundlich. Es sich anzuhören und zu erschließen, fordert heraus. Es sind sechs Teile: die ersten relativ kurz gehalten, der letzte ein weit gespanntes omnipotentes Gebilde, das fast nur noch Solostellen (Flöte, Violoncello etc.), Pausen und Tempo Largo kultiviert. Die Zurücknahme ist so schlagend, so ins Mark gehend, dass man am Ende kaum die Hände rühren will. Die Leute im voll besetzten Saal ertrugen die Aufführung mit Fassung. Dass das »Erde-Lied« sich der Ovation verschließt, gehört mit zu den großen Stärken der Komposition. Die Aufführung, klar disponiert, sensibel geleitet, zeigte auch Schwächen. Bei Altistin Gerhild Romberger verstand man den Text fast gar nicht. Ihr Part wirkte weithin dünnblütig, sie individualisierte viel zu sehr, was bei Mahler objektiviert erscheint. Auch Tenor Andrew Staples wischte gelegentlich über die Verse hinweg, war im Übrigen aber engagiert bei der Sache. Das erste Stück, »Trinklied vom Jammer der Erde«, mit jähem Sforzato zu Beginn, geriet geradezu harmlos.

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