Anerkannt und geschätzt

Friedrich Schenker 75

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Komponist ist im Februar 2013 gestorben. Viele waren gekommen, als er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof nahe der Stätten von Eisler, Brecht, Weigel, Dessau, Heiner Müller, Goldmann, Mickel begraben wurde. Was ist mit seinem Werk? Seine Noten ruhen in Archiven der Akademie der Künste Berlin. Das Orchesterwerk »Fanal Spanien« von 1980 wurde voriges Jahr in Köln wieder aufgeführt. Auch Schenkers radikalpazifistisches Instrumentaltheater »Missa nigra« rührte sich, Kölner Musikstudenten führten es 2016 im Auftrag des Deutschlandfunks auf. Dann ist aber schon Stille, und es bleibt die Erinnerung. Zum Beispiel an die Staatsoper Unter den Linden, die nun in altem Glanz wiederhergerichtet ist. Unter Hans Pischners Intendanz fühlte er sich dort zeitweise anerkannt und geschätzt.

Im Apollo-Saal, Spielort des Hauses, kam 1980 eines seiner radikalsten Stücke auf die Bühne: »Orfeo: Gioco - Grido - Canto; Recitá per oboe e trombone«. Er und Burkhard Glaetzner bliesen es. Andere Bläser haben die Noten nie angerührt. So alt die Noten sind, das Stück ist brandaktuell. Während der 1980er Jahre, als Städte und Landschaften in der DDR ökologisch zu kollabieren drohten, scheute sich der Komponist nicht, dergleichen Schändlichkeiten selbst bei großen Versammlungen des zentralen Komponistenverbandes vehement anzuklagen. Jene Misere erfährt in diesem Proteststück ihren extremsten Ausdruck. Seine Wiedergabe lebt von der Wut des Erlebten, der Wut des Augenblicks.

Die Staatsoper Berlin war tatsächlich gelegentlich ein bisschen Heimstatt für Avantgardeleute wie ihn. Die standen unter Paul Dessaus Schutz. Schenker war bei ihm Meisterschüler gewesen. Im Apollosaal wurde auch seine Oper »Büchner« nach einem Libretto von Klaus Harnisch aufgeführt.

Im großen Saal folgte sodann Mitte der 1980er Jahre mit Mitgliedern der Staatskapelle die Sonate für Blas- und Schlaginstrumente (1973). Dirigent: Kurt Masur. Ein alle Berührungsängste abwerfendes Gebilde, das in den Saal ging, als wollte es Türme zum Taumeln bringen. Während der Aufführung verließen Leute den Saal, schimpften, knallten die Türen.

1990 übersiedelte der Komponist von Leipzig nach Berlin. Die Staatsoper beschritt nun ihre Wege ohne solche wie ihn. Kurt Masur ging nach New York zu den Philharmonics. Das große Auswechseln hatte begonnen. Schenker: »Die Kunst, die ich mache, ist nicht dazu vorgesehen gewesen, einen Marktwert darzustellen oder Mehrwert zu gewinnen.« Auf dem Musikmarkt sich durchzuarbeiten, Kosten und Gewinne abzuschätzen, es plötzlich mit Konkurrenten und dem Druck der Moden, der »Postmoderne« etwa, zu tun zu haben - das missfiel ihm nicht nur, das empfand er als grotesk und kafkaesk. Mit einem »Jetzt erst recht!« unter der Hirnrinde schuf er in der Folgezeit eins ums andere Werk, eines so teuer wie das nächste. Aus der Freiheit, die er sich in der DDR mit anderen kompositorisch erkämpft hatte, wurde noch in seinen subtilsten Gebilden der Angriff wider die Unbill des Jetzt. Am heutigen Samstag wäre Schenker 75 geworden.

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