Projekt lebendiger Bundestag

Regierungsbefragung und Fragestunde gelten als langweilig. Nun will Schwarz-Rot über Reformen diskutieren

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer Angela Merkel im Bundestag auf der Regierungsbank beobachtet, der bekommt zuweilen den Eindruck, als handele es sich für sie um lästige Pflichttermine. Während die Abgeordneten Reden halten, tippt und wischt die Kanzlerin auf ihrem Smartphone herum. In anderen Momenten kann sie ihre Augen nicht immer offen halten. Die Geschäftsordnung des Parlaments macht es möglich, dass Merkel lediglich ihre Regierungserklärungen verlesen muss und ansonsten kaum gefordert wird.

Diverse Fraktionen haben nun Initiativen gestartet, um das parlamentarische Geschehen abwechslungsreicher zu gestalten und die Opposition zu stärken. Die SPD hatte in der konstituierenden Sitzung des Bundestages Ende Oktober eine Änderung der Geschäftsordnung beantragt, wonach die Kanzlerin den Abgeordneten künftig mindestens vier Mal im Jahr Rede und Antwort stehen soll. Zudem verlangten die Sozialdemokraten, die in Sitzungswochen stattfindende Befragung von Regierungsvertretern durch das Parlament von 30 auf 60 Minuten zu verlängern. Mit den Stimmen von Union, FDP und Grünen wurde der Antrag in den Ältestenrat überwiesen.

In der SPD-Fraktion heißt es nun, dass das Thema auch bei den am 7. Januar beginnenden Sondierungsgesprächen mit der Union eine Rolle spielen wird. Der Parlamentsgeschäftsführer der Sozialdemokraten, Carsten Schneider, sagte der Nachrichtenagentur AFP, er glaube, »dass man in den ersten Monaten des neuen Jahres zu einer Einigung kommen kann«. Denn die Union sei grundsätzlich offen für Veränderungen.

Mitte Dezember hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erklärt, dass es während der Übergangszeit mit der geschäftsführenden schwarz-roten Bundesregierung keine Änderung der bisherigen Regelungen geben werde. »Aber wir werden auf dieses Thema zurückkommen«, versprach der CDU-Politiker.

Während jeder Sitzungswoche findet im Bundestag die Regierungsbefragung statt, bei der ein Minister befragt wird, sowie die Fragestunde, an der Parlamentarische Staatssekretäre teilnehmen. Überraschungen gibt es hier nicht. Denn in der ersten Runde sollen die Abgeordneten lediglich Auskunft über die während der Kabinettssitzung besprochenen Regierungsvorhaben erhalten. Merkel lässt sich hier nicht blicken. Danach geht es um Fragen, die von den Abgeordneten an die Bundesregierung eingereicht wurden. Staatssekretäre lesen die vorbereiteten Antworten ab.

Nicht nur die SPD sieht Veränderungsbedarf. Nach Meinung des Parlamentarischen Geschäftsführers der Linksfraktion, Jan Korte, sollten die Fraktionen und besonders die Oppositionsfraktionen Themen vorschlagen können, die zum Beispiel der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung unangenehm sind.

Ähnliche Vorstellungen haben die Grünen. Sie haben Mitte Dezember ebenfalls einen Antrag vorgelegt. Dies dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Ökopartei nach dem Scheitern der schwarz-gelb-grünen Sondierungen damit rechnet, wieder in der Opposition zu landen. Die Themen der Regierungsbefragung sollen nach dem Willen der Grünen vom Parlament mitbestimmt werden können, »und zwar von den Fraktionen gleichermaßen im Wechsel«. Sie fordern ebenso wie SPD und LINKE, dass sich auch die Kanzlerin den Fragen der Parlamentarier stellt.

Zur Begründung weisen die Grünen darauf hin, dass in etlichen Ländern die Befragung in der Parlamentspraxis eine höhere Wertschätzung als im Bundestag erfährt. So sei es in Spanien, Frankreich oder Großbritannien »selbstverständlich, dass sich der Regierungschef oder die Regierungschefin in regelmäßigen Abständen den Fragen der Abgeordneten stellt und zum Beispiel Fragen von besonderem politischen Interesse selbst beantwortet«.

Die Gründe, warum die nicht gerade junge Debatte über einen lebendigeren parlamentarischen Alltag wieder aufgegriffen wird, liegen auf der Hand. In den Fraktionen der etablierten Parteien wächst die Sorge, dass Politikverdrossenheit und Desinteresse an der parlamentarischen Arbeit zunehmen, wenn alles so bleibt wie bisher. Sie befürchten, dass davon die AfD profitieren könnte. Allerdings wittert die rechte Partei auch Vorteile für sich, wenn die Reform umgesetzt werden sollte. Mehr Rechte für die Opposition können auch eine größere Bühne für die AfD bedeuten. Ihr Fraktionschef Alexander Gauland hat bereits angekündigt, den Vorstoß der SPD unterstützen zu wollen. Inwieweit dieser tatsächlich in die Tat umgesetzt wird, steht noch in den Sternen. In der vergangenen Legislaturperiode waren entsprechende Reformvorschläge von LINKEN und Grünen noch an Schwarz-Rot gescheitert. Kommentar Seite 4

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