Körperkult und Rassenwahn

Eine Ausstellung in der Topographie des Terrors zeigt Fotografie im Dienst der NS-Ideologie

  • Manuela Lintl
  • Lesedauer: 4 Min.

Als die Ausstellung »Im Dienst der Rassenfrage« erstmals im Photoinstitut Bonartes in Wien gezeigt wurde, stand die Erforschung der Verstrickung österreichischer Fotografinnen und Fotografen in das NS-Regime am Beispiel von Anna Koppitz (1895-1989) im Zentrum. Ausgangsmaterial war ein Zufallsfund der Fotohistorikerin Magdalena Vuković, die auf ein Konvolut von Propagandafotos gestoßen war, angefertigt Ende der 1930er Jahre von der Wiener Fotografin Koppitz für den deutschen Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Walther Darré.

Nachforschungen ergaben, dass die Witwe des bekannten Kunstfotografen Rudolf Koppitz, ein vom Jugendstil und Konstruktivismus beeinflusster Bildarrangeur, eng mit dem deutschen Reichsminister und Leiter der »Reichsschule des Reichsnährstandes für Leibesübungen Burg Neuhaus« zusammengearbeitet hat und auch die fanatische Ideologie des »Rassenhygienikers« voll teilte.

Die von Darré 1935 gegründete »Reichsschule« in der mittelalterlichen Burg bei Wolfsburg war eine Art körperliche und ideologische Versuchs- und Dressuranstalt für Hunderte von Jugendlichen aus Bauernfamilien, die nach strengen physiognomischen Kriterien ausgewählt wurden. Fotos der Internatsschüler dienten dem »Rassentheoretiker« Darré zur Bebilderung eigener Schriften in denen er die sogenannte »nordische Rasse« propagierte. In Büchern und Magazinen wie der von ihm herausgegeben Zeitschrift »Odal - Monatsschrift für Blut und Boden« vertrat er die Idee einer »reinrassigen« und »erbgesunden Menschenzucht« in Kombination mit brutaler Auslese, die das Bauerntum zum »Lebensquell der Nordischen Rasse« und »Neuadel aus Blut und Boden« (so die Titel seiner zwei Hauptschriften) mystifizierte.

Für die Berliner Station der Ausstellung im Dokumentationszentrum der Stiftung Topographie des Terrors wurde die Präsentation variiert; sie weicht deshalb auch vom Katalogband etwas ab. In der Berliner Schau wird näher auf die Rolle des deutschen Sportfotografen Hanns Spudich eingegangen, der Dritte im Bunde des rassenideologischen Propagandateams um Darré, zu dem als vierter Mann der völkisch orientierte Sportpädagoge Rudolf Bode hinzuzuzählen ist. Letzterer entwickelte für die »Reichsschule« Neuhaus eine spezielle Gymnastik in Form »politischer Leibesübungen« für Kraft und Ausdauer in Kombination mit Volkstanz und Volksgesang.

Im Mittelpunkt der Sonderausstellung stehen die inszenierten Aufnahmen der Neuhaus-Schülerinnen und -Schüler von Koppitz und Spudich. Insgesamt sind auf 36 Schautafeln über 100 Bild- und Textdokumente versammelt, versehen mit kurzen und informativen Erklärungen oder Briefzitaten jeweils auf Deutsch und Englisch. Hinzu kommen zwei Tischvitrinen mit originalen Fotoabzügen von Koppitz und Spudich im Zentrum der doppelringförmig angeordneten Präsentation und eine Medienstation mit drei historischen Filmausschnitten.

Im einführenden Kapitel werden die Hintergründe der perfiden Rassen- und Zuchtideologie Darrés beleuchtet. Das folgende Kapitel behandelt die Geschichte der »Reichsschule des Nährstandes für Leibesübungen«, das dritte und letzte widmet sich dem gezielten Einsatz der Fotografie als Propagandainstrument und arbeitet inhaltliche und stilistische Merkmale heraus. Beispielsweise die glorifizierende Darstellung uniform gekleideter trainierender Körper, das Nachahmen von Sportlerposen griechisch-antiker Statuen, die Analogie von sportlichem sowie kriegerischem Kampf. Allen Fotografien ist eine übergesteigerte Pathetik, Verklärung und Mystifizierung athletischer Bäuerinnen und Bauern gemeinsam - bildliche Umsetzung der Weltanschauung eines NS-Chefideologen zur Rechtfertigung des sich bereits in vollem Gang befindlichen rassistischen Genozids. Die Wirkkraft inszenierter heiterer Harmlosigkeit und vor Gesundheit und Lebensfreude strotzender Körper zur idyllischen Maskierung des Nazi-Terrors jagt noch dem Betrachten der Fotos Schauer über den Rücken.

Ein Vergleich mit Filmszenen aus Leni Riefenstahls zweiteiligem Propagandafilm »Olympia« (1938) verdeutlicht, wie stark die NS-Fotografie stilistisch dem von Hitlers Lieblingsfilmemacherin gesetzten propagandistischen Meilenstein der NS-Körperästhetik verpflichtet war und nach einem einheitlichen, »gleichgeschalteten« Stil strebte. Das ging soweit, dass bei einigen publizierten Fotos die Autorenschaft nicht eindeutig geklärt werden konnte.

Während das Leben und Wirken der Österreicherin Anna Koppitz weitgehend erforscht ist, gibt es in der Vita von Spudich noch große Lücken. So sind weder Jahr noch Ort seines Todes bekannt; auch ist bisher kein Porträt oder Foto von ihm selbst aufgetaucht. 1895 in Frankfurt/Main geboren, arbeitete Spudich seit 1919 als Grundschullehrer in Berlin. Er war Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschland, aus der er 1930 austrat. 1935 aus dem Schuldienst entlassen, begann er als Pressefotograf im Sportbereich zu arbeiten und sich gänzlich in den Dienst der Untermauerung und Bebilderung des NS- »Rassegedankens« zu stellen. Es wird angenommen, dass er in erster Linie aus finanziellen Gründen die Zusammenarbeit mit Darré anstrebte und in Briefen aus taktischen Gründen seine Kenntnisse der »Rassenfrage« betonte. Genaueres hierzu werden hoffentlich weitere Forschungen ergeben.

»Im Dienst der Rassenfrage. Propagandafotografien im Auftrag des Reichsministers R. Walther Darré«, Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, Niederkirchnerstr. 8, bis 8. April, tägl. 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei, Katalog (12,50 €)

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