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Mehr Menschen ohne Wohnung

Strategiekonferenz berät über Obdachlosigkeit

  • Ulrike von Leszczynski
  • Lesedauer: 2 Min.

Morgens um sieben ist die Welt nicht in Ordnung. An der Tür der Notunterkunft für wohnungslose Familien in Berlin klingelt ein Paar mit drei Kindern, alle sind durchgefroren. Jemand hat ihnen diese Adresse in Kreuzberg in die Hand gedrückt. Sie haben großes Glück, ein Zimmer ist frei. Seit September gibt es 30 Plätze, und auch sie reichen schon nicht mehr aus.

»Wir müssen 20 bis 30 Familien pro Monat ablehnen«, sagt Sozialarbeiterin Viola Schröder. »Wir sind voll.« Und dann sagt sie noch etwas. »Bei uns geht es nicht allein um Roma-Familien. Das Problem ist in der deutschen Mittelschicht angekommen.«

Rund 30 000 Menschen ohne Bleibe haben die Berliner Behörden im Jahr 2016 untergebracht, in Notunterkünften, Heimen oder Hostels, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Wer bei Freunden auf dem Sofa schläft oder auf der Straße lebt, wird dabei noch nicht einmal erfasst. Um einen Umgang mit den steigenden Zahlen wohnungsloser Menschen zu finden, will der Senat eine gesamtstädtische Strategie erarbeiten. Auftakt war eine Konferenz am Mittwoch.

Berlin ist eine Mieterstadt. Die Eigentumsquote liegt bei rund 15 Prozent. In anderen deutschen Großstädten sind es ein Viertel oder mehr. Wird auf dem Wohnungsmarkt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage spekuliert, trifft das die Hauptstadt bis ins Mark. Beim Berliner Mieterverein konstatiert Geschäftsführer Reiner Wild, dass Vermieter bei Mietrückständen heute gleich doppelt kündigen - fristlos und fristgemäß nach drei Monaten. Mit diesem Kniff könne ein Mieter seine Wohnung nicht behalten, selbst wenn er Mietschulden nachzahle, sagt er. Was reicht, um rauszufliegen? »Eine säumige Miete«, sagt Wild. Die Tendenz, Menschen vor die Tür zu setzen, um die Wohnung teurer neu zu vermieten, nennt er in Berlin »sehr stark«.

Sozialsenatorin Elke Breitenbach (LINKE) redet das Problem nicht schön. »Wir stehen mit dem Rücken zur Wand«, sagt sie. Was Wohnungen betreffe, gebe es mehr Verteilungskämpfe als früher. »Es trifft vor allem einkommensschwache Gruppen, aber auch schon Teile der Mittelschicht.« Und zu lange sei nichts passiert.

Jetzt passiert etwas. Der Senat hat die Mittel für Wohnungslose für 2018 von 4,2 auf 8,1 Millionen Euro aufgestockt. Davon sollen zum Beispiel mehr Notübernachtungsplätze für Frauen und Familien entstehen. Auch der Spielraum bei der Übernahme von Mieten ist seit Januar größer. Die Wohlfahrtsverbände bleiben kritisch. Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg, sagt: »Ich weiß nicht, ob das schon reicht.« dpa/nd

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