• Kultur
  • „Malvina, Diaa und die Liebe“

Komplexe KiKa-Beziehung

Warum sich Besorgtbürger über eine Doku des Kinderkanals empören und warum die Sorge um ein junges Mädchen nur vorgeschoben ist

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Was verbinden Erwachsene mit dem Kinderkanal (Kika), dem Gemeinschaftssender von ARD und ZDF? Den Sandmann? Märchenfilme? Zeichentrickabenteuer? Dem einen oder anderen dürfte zu nächtlicher Stunde vielleicht Bernd das Brot begegnet sein, den der Sender in Endschlussschleife ab 21 Uhr laufen lässt, um auch dem letzten Heranwachsenden aus seiner Zielgruppe zu signalisieren: Kinder, ihr gehört ins Bett!

Dieser klar gesetzte Sendeschluss mit dem mürrischen Brot zeigt, dass die Kika-Verantwortlichen im Gegensatz zu manch privater Konkurrenz sich ihres pädagogisches Auftrags bewusst sind.

Umso lauter ist dann der Aufschrei, wenn der Kika sein Programm nicht in Zuckerwatte packt, sondern die Lebenswelt junger Menschen ungeschönt abbilden will, ihm dabei aber handwerkliche Fehler passieren. Bereits am 26. November 2017 strahlte der Sender eine 24-minütige Doku seiner Reihe »Schau in meine Welt« aus. Dass der Sendetermin um 20.35 Uhr lag, ist wichtig, denn der Kika richtet sich in den letzten zwei Programmstunden an eine Zielgruppe, die nicht aus Fünfjährigen besteht. »Schau in meine Welt« ist insofern auch anspruchsvoller konzipiert. In der unkommentierten Doku porträtiert Autor Marco Giacopuzzi die Liebesbeziehung zwischen der gebürtigen Deutschen Malvina und dem Syrer Diaa, zeigte ihren Alltag und ihre Probleme als Paar.

Während es nach direkter Ausstrahlung der Doku keine Reaktion auf die Sendung gab, trat sechs Wochen danach »Bild« eine Welle los. Zuschauer seien bei der Altersangabe für Diaa stutzig geworden. Während diese in der Sendung keine Rolle spielt und nur das Alter von Malvina mit 16 Jahren angegeben wird, hieß es in einem Begleittext auf kika.de zunächst, der junge Mann sei 17. Am Montag räumte der Sender ein: Diaa sei zum Zeitpunkt der Dreharbeiten im Frühjahr letzten Jahres 19 gewesen, das Paar hätte sich aber kennengelernt, als der Junge 17 war. Gegenüber welt.de erklärte die zuständige Redakteurin des Hessischen Rundfunks: »Wir haben den Ausweis von Diaa gesehen. Er ist jetzt 20 Jahre alt.« Für die zunächst falsche Altersangabe entschuldige sich der Kika. Rechten Bloggern und diversen AfD-Politikern reichte dies nicht. Sie eröffneten eine wenig von Fakten geleite Diskussion über Diaa.

Boris Rosenkranz schreibt auf ubermedien.de, die »Bild« gebe »sich redlich Mühe, den jungen Mann irgendwie dubios wirken zu lassen«. Wahrscheinlich hätte sich niemand über die falsche Altersangabe länger als nötig aufgeregt, würde es sich bei Diaa um einen gebürtigen Deutschen handeln. Doch als Syrer, Geflüchteter und Muslim weckt er bei manchen Abendländern Beißreflexe, was »Bild« befeuert, zumal »in Deutschland seit der Flüchtlingskrise eine Debatte um das wahre Alter vieler Flüchtlinge entbrannt« sei.

Vielleicht wäre die Empörung des Springer-Boulevardblatts über Fragen von Sexualität, interkulturelle Probleme, Gleichstellung der Geschlechter und Feminismus zumindest etwas ehrlicher, würde Bild.de etwas sensibler damit umgehen. Doch wer den Beitrag »Aufregung um Flüchtlings-Doku im Kinderkanal« abruft, kann unter Umständen eine unerfreuliche Überraschung erleben. Es mag an unausgereiften Algorithmen liegen, aber der Anzeigenabteilung bei Springer hätte vielleicht auffallen können, was für Anzeigen sich in den Beitrag über eine Kindersendung geschlichen haben. »Mit Po-Klaps zum Höhepunkt, so geht’s« ist ein eingeblendeter Werbebanner für das offensichtlich Springer-eigene Angebot »BildFitness« überschrieben. Zu sehen ist eine Frau in Unterwäsche, die in eindeutiger Pose über einem Mann hockt.

AfD-Politiker mimen die besorgten Bürger

»Bereitet KiKa unsere Mädchen auf Ehen mit islamischen Einwanderern vor?«, empört sich dann auch die AfD-Politikerin Alice Weidel via Twitter. Wer von den Erregten die Kika-Doku tatsächlich gesehen hat, ist unklar. Auf der Website des Senders ist sie nicht mehr zu finden, wohl aber bei Youtube abrufbar. »Tatsächlich enthält der vom Hessischen Rundfunk produzierte Film auch irritierende Szenen«, räumt Imre Grimm auf maz-online.de ein. Doch »rational betrachtet, ist die Sache komplexer«, als es AfD-Politiker und »Bild« darstellten. Malvina weiß sich durchaus zu wehren, wenn ihr Freund vermeintliche Ansprüche erhebt, etwa, als er sich wünscht, sie solle ein Kopftuch tragen. Ihre schlagfertige Antwort: »Ich bin eine Christin. Und eine Emanze.« Auch einer verfrühten Heirat erteilt sie eine klare Absage. Von einem »Kompromiss« spricht das Mädchen dagegen, als sie erklärt, aus Rücksicht auf Diaa auf allzu kurze Kleidung zu verzichten. »An keiner Stelle enthält der Film die Botschaft, dass Malvinas Lebensentwurf erstrebenswert sei«, urteilt Grimm. Michael Hanfeld auf faz.net sieht dagegen »eine Jugendliche, die noch keinen klaren Lebensentwurf hat, und auf einen jungen Mann trifft, der genau weiß, welche Rollen er und ›seine Frau‹ in der Welt spielen sollen. Sie gibt Freiheiten auf, bevor sie sich ausprobiert hat, passt sich seinen Vorstellungen und Vorschriften an und ordnet sich unter.«

»Die Sorge um Malvina ist auch deshalb wohlfeil, weil sie als junge Frau mit einer starken Meinung kaum wahrgenommen wird«, kommentiert dagegen Rosenkranz und rät zu einer Versachlichung der Debatte, indem er etwa fragt, ob es vom Sender klug gewesen sei, bei solch einem Thema auf eine einordnende Kommentierung zu verzichten. Auch sei rätselhaft, warum der Kika eine begleitende Talksendung mit den Protagonisten vor und nicht nach der Doku ausstrahlte. »Es wäre einfach wichtig gewesen, über den Inhalt des Films zu diskutieren, über Werte und Ansichten, und zwar mit Kindern, Jugendlichen, Experten. Der Film wäre ein guter Anlass dafür gewesen«, so Rosenkranz.

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