Kampfplatz Ost-Ghouta

Syriens Regierungstruppen bereiten offenbar Bodenoffensive auf Rebellenhochburg vor

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit einer Woche fliegt die syrische Luftwaffe Angriffe auf die Ost-Ghouta. Die Ghouta ist eine - für nahöstliche Verhältnisse - wasser- und damit vegetationsreiche Region, die die Hauptstadt Damaskus zu drei Vierteln umschließt und praktisch deren Lebensadern beherbergt. In der Ost-Ghouta haben sich allerdings gleich nach Ausbruch des Krieges regierungsfeindliche Milizen festsetzen können. Sie behaupten sich dort seit nunmehr fast fünf Jahren. Den Regierungstruppen ist es in dieser Zeit nicht gelungen, nennenswert dagegen vorzugehen. Im Gegenteil, häufig hatten sie sich selbst zu verteidigen.

Die erfolgreichen Offensiven der Regierungsarmee anderswo haben auch die strategische Lage für die Rebellen in der Ost-Ghouta grundsätzlich verändert. Sie sind weitgehend eingeschlossen. Der Nachschub aus Jordanien und der Türkei rollt nicht mehr. Man beklagt eine humanitäre Notlage für die schätzungsweise 400 000 Einwohner des umzingelten Gebiets, und auch den Milizen geht allmählich das Pulver aus.

Ob die Zivilisten die Milizionäre, von denen die wenigsten aus der ansässigen Bevölkerung stammen dürften, als Beschützer oder Besatzer betrachten, ist von außen schwer zu beurteilen. Internationale Organisationen, vor allem die westlichen, haben sich da allerdings frühzeitig festgelegt und die syrische Regierung zur Alleinschuldigen am Krieg erklärt.

Derzeit laufen heftige Luftangriffe der syrischen Armee. Nachrichtenagenturen wie AFP meldeten allein für Montag mindestens 100 Tote und für Dienstag bis Mittag weitere 45. Es soll sich dabei ausschließlich um Zivilisten handeln. Doch es ist Vorsicht geboten. Alle diesbezüglichen Informationen stammen von sogenannten Aktivisten, die entsprechende Informationen an die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gegeben haben sollen.

Eigentlich zählte die Ost-Ghouta zu den vier Gebieten Syriens, für die Russland und die Türkei Vereinbarungen zur Konfliktberuhigung getroffen hatten. Für die Ost-Ghouta hat das aber kaum funktioniert. Das mag daran liegen, dass sich die dortigen Milizen untereinander nicht grün sind und keine gemeinsame Strategie fanden. Einige waren wohl gegen jegliche Agreements mit den Truppen von Präsident Baschar al-Assad. Dabei ist der Krieg dort für die Rebellen kaum noch zu gewinnen.

Ginge es ihnen also tatsächlich um die Hunderttausenden von Not leidenden Zivilisten, wäre eine geordnete Kapitulation mit freiem Abzug wie zuvor in den Großstädten Homs und Aleppo wohl eine Lösung der Vernunft. Allerdings gibt es derzeit nichts, was darauf hindeutet. Um die Weihnachtszeit hatte eine Islamistengruppe einen für die Trinkwasserversorgung der Hauptstadt wichtigen Zufluss blockiert und so schon einmal wütende Luftangriffe der Armee herausgefordert. In diesem Monat gab es bereits mehrfach Raketenangriffe aus der Ghouta auf Damaszener Viertel, was auch nicht gerade für die Bereitschaft zu einer Verhandlungslösung spricht. Eher früher als später dürfte Damaskus mit der Rückeroberungsoffensive des östlichen Vorlandes beginnen.

Von ihren bisherigen türkischen Protegés haben die Ghouta-Milizen derzeit vermutlich keine Hilfe zu erwarten. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der nahezu täglich zum Krieg in Syrien, der immer mehr auch der seine ist, Stellung nimmt, erwähnt die Ghouta kaum noch. Ankara ist am nördlicheren Kriegsschauplatz, dem Kurdengebiet Afrin, ausgelastet. Das Vorankommen ist dort deutlich geringer als es Erdogans flammende Reden vermuten lassen. Er begründet das Stocken der seit einem Monat laufenden Aggression seiner Truppen in Nordsyrien gegen die nur leicht bewaffneten kurdischen Einheiten damit, dass er die Zivilisten schonen wolle. Dafür ist die türkische Armee freilich nicht bekannt. Bei den Kämpfen in den türkischen Kurdengebieten konnte davon keine Rede sein.

Man werde das Stadtzentrum von Afrin »in den nächsten Tagen« belagern, sagte Erdogan am Dienstag in Ankara laut AFP. Noch sind seine Truppen aber mehr als 17 Kilometer von der Stadt entfernt. Es handelte sich hier wohl vor allem um eine verklausulierte Forderung an die USA, ihre in der nahe gelegenen Stadt Manbidsch zur Unterstützung der Kurden stationierten Soldaten zurückzuziehen, um einer Konfrontation aus dem Wege zu gehen.

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