Wenn Dieselautobesitzer gegen VW klagen

Anwaltskanzleien wollen eine zunehmend verbraucherfreundliche Rechtsprechung im Abgasskandal erkannt haben

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Während sich die neue Bundesregierung und die Automobilindustrie nach wie vor beharrlich weigern, durchgreifende Maßnahmen gegen die Umweltbelastung durch Dieselabgase und für die Entschädigung der betrogenen Besitzer von Diesel-Pkw auf den Weg zu bringen, sind die deutschen Gerichte offenbar immer weniger bereit, diese unheilige Allianz zu flankieren. Zwei kooperierende Anwaltskanzleien, die zusammen rund 12 000 Mandanten in dieser Angelegenheit vertreten, zogen am Donnerstag in Berlin eine Zwischenbilanz der bisherigen Verfahren

Zu ihnen gehört auch der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum von der Kanzlei Baum, Reiter & Collegen. Zwar gebe es »bemerkenswerte Signale« des designierten VW-Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess in Bezug auf eine »mögliche moralische Verpflichtung des Konzerns« zur Leistung von Entschädigungen, so der FDP-Politiker. Auch habe die Kanzlerin am Dienstag erklärt, »die Konzerne in die Pflicht nehmen zu wollen«. Die Notwendigkeit der juristischen Durchsetzung von individuellen Ansprüchen tangiere dies aber nicht.

Auch die Ankündigung von Justizministerin Katarina Barley (SPD), einen Gesetzentwurf zur Ermöglichung von Musterfeststellungs- und Sammelklagen durch Verbände vorzulegen, hält Baum derzeit noch für viel zu vage. Und der am Mittwoch von EU-Justizkommissarin Věra Jourová vorgestellte Gesetzesvorschlag für ein Sammelklagerecht wird ihm zufolge angesichts der sehr langen Beratungs- und Beschlussprozesse in der EU kaum noch Relevanz für die juristische Aufarbeitung des Diesel-Skandals haben.

Die von der Industrie angebotenen und teilweise bereits durchgeführten Software-Updates zur Schadstoffreduzierung sind für Baum keine Lösung. Mittlerweile sei unumstritten, dass diese Updates deutlichen Einfluss auf Motorleistung und Kraftstoffverbrauch haben und zudem durch Verrußung ein schneller Verschleiß des Motors drohe. Der Wertverlust ist demnach also offensichtlich. Außerdem schützen laut Baum auch die Updates nicht vor möglichen Fahrverboten in deutschen Innenstädten, wenn es weiterhin zu Überschreitungen der Grenzwerte kommt.

Baums Kompagnon Julius Reiter konstatierte eine »zunehmend verbraucherfreundliche Rechtsprechung der Landgerichte«. Diese hätten bereits mehr als 200 Urteile gegen Autobauer und Autohändler gefällt, in denen Entschädigungsansprüche bejaht wurden. »Und in jeder Woche werden es mehr«, so der Anwalt.

Reiter zufolge gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie Verbraucher entschädigt werden können: durch Rückabwicklung des Kaufvertrags, Entschädigungszahlung für den Wertverlust oder Bereitstellung eines Neuwagens. Dabei sind Ansprüche gegen Händler allerdings zwei Jahre nach Kaufvertragsabschluss verjährt. Doch bei Finanzierungskäufen über die »Autobanken« kann auch noch Jahre später die Rückabwicklung des Vertrags eingeklagt werden. Als besonders bemerkenswert wertet Reiter eine inzwischen rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts Gießen vom 6. März. In diesem Rahmen hat VW erstmals eine gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Berufung zurückgezogen.

Auf ein weiteres wichtiges Urteil verwies Rechtsanwalt Timo Gansel. So stellte im März das Oberlandesgericht Köln klar, dass die Beweislast für den ordnungsgemäßen Zustand eines Fahrzeugs beim Hersteller liegt. Das betrifft sowohl die Installation von Schummel-Software als auch die Einhaltung der Grenzwerte.

Indes zeigte Gansel auch Verständnis für die Klagen der Deutschen Umwelthilfe auf Erlass von Fahrverboten: Für die bis zu zwölf Millionen Dieselfahrer bedeute dies in erster Linie natürlich eine Bedrohung, sowohl den Wert der Fahrzeuge als auch die Einschränkung der Mobilität betreffend, so der Anwalt. Doch angesichts der nachgewiesenen schweren gesundheitlichen Gefahren durch hohe Stickoxidbelastungen in Wohngebieten seien Fahrverbote zum Schutz der Anwohner eine mögliche Option. Dies habe auch das Bundesverwaltungsgericht im Februar unmissverständlich klargestellt. Doch letztendlich sei es Aufgabe der Politik, für umfassende Rechtssicherheit sowohl in Bezug auf Schadstoffgrenzwerte als auch bei Haftungs- und Entschädigungsverpflichtungen der Automobilkonzerne zu sorgen.

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