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Weg vom Fascho-Image

Lichtenberger Register dokumentierte weniger rassistische und herabwürdigende Taten

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Juli und August tauchten überall in Berlin Parolen an Häuserwänden und auf Bodenplatten auf. »Rudolf Heß - Gebt die Akten frei« stand darauf oder »Rache für Heß«. Sie waren Teil einer stadtweiten Kampagne von Neonazis, um zum 30. Todestag des Hitler-Stellvertreters am 17. August zum Gedenkmarsch in Spandau einzuladen.

Die Heß-Parolen trugen zu einem großen Teil zu den 268 Vorfällen bei, die die Lichtenberger Registerstelle im Jahr 2017 erfasst hat. Die Stelle sammelt rassistische, antisemitische, antiziganistische Vorfälle und solche, die Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität herabwürdigen (siehe Kasten). Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Vorfälle wie in ganz Berlin stark zurück: 2016 waren es 334. Allerdings lag die Zahl noch über der von 2015 (234). Die Zahlen stellte die Lichtenberger Registerstelle am Donnerstag gemeinsam mit Bezirksbürgermeister Michael Grunst (LINKE) vor.

Was ist eine Registerstelle?
  • Die Berliner Registerstellen dokumentieren rassistische, antisemitische, antiziganistische, extrem rechte, rechtspopulistische, sozialchauvinistische und behindertenfeindliche Vorfälle sowie solche, die sich gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität richten.
  • Die Vorfälle können von allen Menschen gemeldet werden, sowohl per E-Mail an die bezirklichen Registerstellen als auch über Anlaufstellen vor Ort. In Lichtenberg gibt es davon 14.
  • Die Registerstellen sammeln die Vorfälle, veröffentlichen sie und werten die Daten aus.
  • Das erste Register wurde 2005 in Pankow eingerichtet. 2007 folgte die Dokumentationsstelle in Lichtenberg, anschließend eröffneten Registerstellen in Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Friedrichshain-Kreuzberg. 2013 wurden in den ersten beiden reinen Westbezirken Charlottenburg-Wilmersdorf und Neukölln Registerstellen aufgebaut. Seit 2016 sind in allen Bezirken Register eingerichtet. jot

Vorherrschendes Motiv war Rassismus. In diesen Bereich fielen 95 Vorfälle, während es 2016 noch 184 waren - ein deutlicher Rückgang also. Häufiger als bisher richteten sich die Taten gegen Kinder und Jugendliche.

Die meisten der dokumentierten Fälle, nämlich 170, waren Propagandafälle, also Plakate, Parolen, Aufkleber. Auch diese nahmen im Vergleich zu 2016 (230) stark ab - und das, obwohl 2017 der Bundestag neu gewählt wurde, ein Termin, der von allen Seiten immer für politische Werbung genutzt wird.

Die Registerstelle führt den Rückgang unter anderem darauf zurück, dass die AfD Ende 2016 in das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen eingezogen ist. Seit Ende 2017 ist die teils rechtsextreme Partei auch im Bundestag vertreten. »Viele Rechte überlassen es jetzt der AfD im Bundestag, Politik zu machen«, sagte am Donnerstag Michael Mallé von der Registerstelle.

Schwerpunkt der rassistischen oder rechtsradikalen Vorfälle war nach wie vor Lichtenberg-Mitte, wo auch die Weitlingstraße liegt. Dort hatte die Neonazi-Organisation und Partei Nationale Alternative kurz nach der Wende mehrere Häuser besetzt. Die Besetzung wurde in ein legales Mietverhältnis umgewandelt, und die Nationale Alternative eröffnete in einem der Häuser eine Parteizentrale. Kurz darauf wurde diese von der Polizei geräumt, nachdem dort Waffen und verbotenes rechtes Propagandamaterial gefunden worden waren. Von Beginn an wehrten sich antifaschistische Gruppen gegen die Vereinnahmung des Kiezes von rechts. Mit der Kampagne »Hol dir den Kiez zurück - Lichtenberg gegen Rechts« organisierten antifaschistische Gruppen Demonstrationen, Kundgebungen, Infostände und Veranstaltungen im Weitlingkiez, um auf die rechtsextremen Strukturen im Viertel aufmerksam zu machen.

Den Wandel weg vom Fascho-Image schaffte Lichtenberg 2014, als ein rechtsextremes Zentrum in der Lückstraße geschlossen wurde. Bezirksbürgermeister Michael Grunst, der den Großteil seines Lebens in Lichtenberg verbracht hat, sagte am Donnerstag: »Zu verdanken ist das vor allem dem zivilgesellschaftlichen Engagement.«

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