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Enteignet Facebook!

Warum die Linke für ein öffentlich-rechtliches Internet streiten muss.

  • Thomas Wagner
  • Lesedauer: 7 Min.

Entzieht Facebook die Betriebserlaubnis! Der durch zahlreiche Fernsehsendungen populär gewordene Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar überraschte die Leser der »FAZ« jüngst mit einer radikalen Forderung. Die Betreiber müssten das »sozialen Netzwerk« in einen mit der Demokratie kompatiblen Zustand versetzen. Bis dahin solle es eine Zwangspause machen.

Den Anlass für die überraschend deutliche Stellungnahme des smarten Wissenschaftserklärers ist der jüngste Facebook-Skandal um den Missbrauch von Nutzerdaten durch die britische Firma Cambridge Analytica. Die hatte sich in illegaler Weise Zugriff auf Millionen von Facebook-Profilen verschafft. Mit ihrer Hilfe entwickelten die Datendiebe Software, die den US-Präsidentschaftswahlkampf zugunsten des Kandidaten Donald Trump beeinflussen sollte. Facebook wusste seit 2015 von dem Datenklau, verlangte auch die Löschung der Informationen, setzte sie aber am Ende nicht durch. Weder die betroffenen Nutzer noch die Öffentlichkeit wurden informiert.

Thomas Wagner

Thomas Wagner befasst sich als Soziologe mit Datennetzwerken. Im Papyrossa-Verlag erschienen von ihm 2017 das Buch »Das Netz in unsere Hand. Vom digitalen Kapitalismus zur Datendemokratie« und 2015 der Titel »Robokratie. Google, das Silicon Valley und die Abschaffung des Menschen«. nd

Man kann die von Yogeshwar erhobene Forderung demnach nur gutheißen. Doch so richtig diese auch ist, wird sie im politischen Raum kaum aufgegriffen werden. Denn wer bei Facebook die Pausentaste drücken wollte, müsste mit dem geballten und lang anhaltenden Zorn der hiesigen Nutzergemeinde rechnen. Für diese stellt das Netzwerk ja auch eine nützliche Kommunikationsinfrastruktur zur Verfügung, die dabei hilft, Kontakte zu pflegen, sich zu informieren und den Alltag zu organisieren. Gleichwohl hat Yogeshwar einen Denkanstoß geliefert, den gerade Linke nicht ignorieren sollten, wenn sie Zukunft gestalten wollen.

Denn er berührt zwei wesentliche Aspekte: Zum einen beleuchtet er das die Demokratie hochgradig gefährdende Potenzial des Kapitalismus digitaler Plattformen. Zum anderen macht er deutlich, dass darauf eine fortschrittliche politische Antwort gefunden werden muss.

Wie dringend dies auf die Agenda gehört, zeigt der Umstand, dass jüngst massive Kritik an der außer Kontrolle geratenen Macht von Facebook und anderen Konzerngiganten aus dem Silicon Valley von zunächst überraschenden Seiten kommt: »Internetmonopole haben weder den Willen noch die Neigung, die Gesellschaft vor den Folgen ihres Handelns zu schützen. Das macht sie zu einer öffentlichen Bedrohung«, schrieb etwa Ende Februar dieses Jahres niemand anderes als George Soros im »Handelsblatt«. Und damit ist der Investmentmilliardär nicht allein. Es sind sozialistischer Ambitionen gänzlich unverdächtige Kapitalisten, Wirtschaftsjournalisten und Professoren sowie ehemalige Mitarbeiter von Internetkonzernen selbst, die eben diese Unternehmen seit Monaten immer öfter als zu groß, als wettbewerbsfeindlich, als Suchterzeuger und demokratiefeindlich bezeichnen.

Und damit liegt dieser größer werdende Chor ganz richtig. Denn das derzeitige Hauptgeschäftsmodell dieser Giganten steht mit fundamentalen Prinzipien einer freiheitlich verfassten Gesellschaft auf Kriegsfuß. Während diese nicht zuletzt auf dem Schutz der Privatsphäre ihrer Bürgerinnen und Bürger beruht, wollen jene so viele möglichst intime Daten von ihren Nutzern erbeuten, wie es nur irgendwie möglich ist.

Man muss sich eines ganz klar vor Augen halten: Wer auf Facebook Freundschaften pflegt oder mithilfe der Suchmaschine von Google etwas recherchiert, tut dies nicht etwa als »Kunde«. Aus Sicht dieser Unternehmen, die in Wirklichkeit riesige Werbefirmen sind, sind die Nutzer nur ein Rohstoff. Die tatsächlichen Kunden sind ganz andere, nämlich diejenigen, die Anzeigen schalten. Die sensorisch eingesammelten Details aus dem Privat-, Berufs- und Konsumleben der Nutzerinnen und Nutzer sind für die Anzeigenkunden Gebrauchswerte - und werden von den Internetkonzernen entsprechend als Waren gehandelt.

Shoshana Zuboff, eine Ökonomin von der renommierten Harvard Business School in den USA, spricht deshalb von einem »Überwachungskapitalismus«, dessen Geschäftsgrundlage eine permanente Massenenteignung der Internetnutzer sei. Zudem sind die Digitalkonzerne nach Kräften und einigem Erfolg bestrebt, die öffentliche Infrastruktur demokratischer Gesellschaften im Rahmen der allgegenwärtigen Digitalisierungs- und Vernetzungsbemühungen in ihrem Sinne umzugestalten.

Ob es sich um das Bibliotheks- oder Gesundheitswesen, die Presse, Universitäten oder die Schulen handelt: Kaum ein Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge bleibt von der versuchten Einflussnahme der Digitallobbyisten ausgespart. Ihre Auftraggeber betätigen sich als Sponsoren universitärer Internetinstitute und finanzieren eigene »Think Tanks« (Denkfabriken). Sie stellen die wichtigsten Foren bereit, auf denen heute über vermeintliche Chancen und die Risiken sowie über die grundlegende Richtung der Digitalisierung verhandelt wird.

Im Spätsommer 2016 erklärte mir Christoph Keese, der geschäftsführende Vizepräsident des Axel-Springer-Konzerns, dass allein in Europa 65 ehemalige Politiker auf der Gehaltsliste von Google stünden und Hunderte Anwälte damit beschäftigt seien, die Wettbewerbsbehörde der EU mit so vielen Dokumenten zu beschießen, dass deren Mitarbeiter mit der Bearbeitung nicht nachkämen. Dahinter stehe ein Kalkül: Jedes dabei durchgerutschte Dokument könne später auf entsprechende Klagen hin vom Europäischen Gerichtshof als Formfehler gewertet und die auf dieser Grundlage getroffene Entscheidung annulliert werden.

Daher muss den Digitalgiganten diese Herrschaft über den öffentlichen Raum endlich streitig gemacht werden. Mit ihren oft versteckten und kryptisch formulierten Geschäftsbedingungen bestimmen sie wesentliche Regeln unseres Zusammenlebens mit. In einer demokratischen Gesellschaft dürfen basale Informations- und Kommunikationsdienste aber nicht in der Hand privater Monopolunternehmen liegen.

Für »soziale Medien« wie Facebook sollte das Gleiche gelten wie für andere Leistungen der Grundversorgung - Wasser, Energie, Mobilität und Kommunikation. Sie gehören nicht in die Hand renditeorientierter Privatfirmen, sondern sollten von gemeinnützigen Anbietern in öffentlichem Eigentum bereitgestellt werden. Die für das Gedeihen der Demokratie notwendige Versorgung mit Informationen darf nicht diesen allein nach Maßgabe des Profitprinzips arbeitenden Konzernen überlassen werden. Unter allen Umständen muss verhindert werden, dass die privaten Eigentümer großer Digitalkonzerne in die Lage versetzt werden, die öffentliche und veröffentlichte Meinung nach Gutdünken zu beeinflussen oder gar zu beherrschen.

Gefragt ist die Entwicklung einer konsequenten Reformstrategie, die auf die Rückeroberung des öffentlichen Raumes für und durch die Bevölkerung zielt. Besonders diskussionswürdig erscheinen Vorschläge, die darauf zielen, das Datengeschäft der digitalen Monopole durch Werbeverbote einzuschränken - das empfiehlt beispielsweise der Internetforscher Evgeny Morozov, der an US-amerikanischen Eliteunis arbeitet. Eine andere vorwärtsweisende Idee besteht darin, einen öffentlich-rechtlichen Sektor im Bereich der Internetmedien einzuführen. »Das würde bedeuten, dass der Staat viel Geld in die Technologie investiert, die nötig ist, um diese Plattformen zu unterhalten und als öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen«, schreibt der britische Politikwissenschaftler Nick Srnick in seinem lesenswerten Buch »Plattform-Kapitalismus«.

In die gleiche Kerbe schlägt der IT-Experte Rainer Fischbach: Es gehe darum, sagte er schon vor drei Jahren der »Jungen Welt«, einen neuen Typus öffentlicher Institutionen zu gründen, »die physische und softwaretechnische Infrastruktur aufbauen und betreiben, ohne die private Aneignung von Gewinnen oder den Durchgriff der Exekutive zuzulassen«. Eine Forderung wie »Enteignet Facebook, Google etc.« sei heute dringlicher, als es das berühmte »Enteignet Springer« der 68er jemals gewesen sei.

Der in London an der University of Westminster lehrende Medienwissenschaftler Christian Fuchs schlägt vor, den Rundfunkbeitrag zu einer Mediengebühr weiterzuentwickeln, die nicht nur von Haushalten, sondern vor allem von den großen, im Internet agierenden Medienkonzernen bezahlt wird. Zudem hat er eine Umleitung öffentlicher Gelder in Richtung alternativer Medienprojekte im Sinn. Während im Bereich der traditionellen Rundfunkmedien in Europa die Öffentlich-Rechtlichen erst nach einiger Zeit private Konkurrenz bekamen, hat sich der Bereich der digitalen Kommunikationsdienste gerade andersherum entwickelt. Hier muss ein Raum für demokratische Öffentlichkeit erst erobert werden.

Heute kontrollieren die Plattformen von Google, Facebook, Amazon und Co. mit ihren attraktiven Internetdiensten einen großen Teil dessen, was einmal eine demokratische digitale Öffentlichkeit werden könnte. Es ist eine wichtige politische Aufgabe, jenen untragbaren Zustand zu beenden, um diese Potenziale freizulegen. Das würde nicht nur der Demokratie nutzen, sondern auch der politischen Linken. Denn ein solches Anliegen wäre einmal keiner der typischerweise frustrierenden Abwehrkämpfe der vergangenen Jahrzehnte. Man könnte - zunächst rhetorisch - in die Offensive kommen.

Dazu muss man sich zunächst von einem hartnäckigen Gewöhnungseffekt lösen, der den Digitalmolochen in die Hände spielt: nämlich der offenbar allgemein verinnerlichten Haltung, dass das Internet in anderer als der heutigen Gestalt im Grunde gar nicht möglich sei. Alternativen sind aber nicht nur denkbar, sondern werden auch gedacht. Die wirklichen Experten sind der Politik hier weit voraus. Niemand, der ihre Impulse strategisch klug aufgriffe, müsste sich fürchten, längerfristig als wunderlicher Offlinedinosaurier dazustehen. Fordern wir also das Mögliche - und setzen es um.

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