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Ausgrenzung und falsche Ehre

Semperoper Dresden: Keith Warner inszenierte Giuseppe Verdis »Die Macht des Schicksals«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 6 Min.

Das reinste Opernidyll am Anfang. Nacht. Haus mit Vorhof. Bänder kreuzen einander am Boden, das eine blau, das andere schwarz. Der alte Marchese di Calatrava, spanischer Adel, schließt die Tür. Es heißt, singend Abschied zu nehmen von der geliebten Tochter Leonora. Die ihrerseits vokalisiert durchs Fenster eine Arie, so schön und traurig, dass ihr geliebter Alvaro, der auf sie wartet, sich schon unruhig fragt, ob sie mit ihm gehen will oder sich für ihren angebeteten Vater entscheidet. Sie wolle noch warten. Was der Mestize Alvaro nicht einsehen will und sie bedrängt, endlich zu handeln. Es stellt sich heraus: Solche wie Alvaro mag der Adel in Spanien nicht. Auch der Marchese sieht in dem Menschenschlag »unreine« Geschöpfe, ungewünschte Fremdländer. Und so einer mit seiner Tochter? Er entdeckt den Wartenden, verflucht und bedroht ihn. Chaos. Plötzlich der Schuss aus Alvaros Pistole. Der hatte ungewollt abgedrückt und den Alten tödlich getroffen. Mit Pulverdampf beginnt »Die Macht des Schicksals«.

Gute Luft zuvor auf dem Theaterplatz. Milde des Abends. Die Sonne senkt sich. Eine Menschenmenge vor dem großen Haus zwischen Elbe und Zwinger. An den Eingängen des Opernhauses stehen gut gekämmte junge Männer in schwarzen Anzügen und Fliege. Lächelnd begrüßen sie die Leute. Statt Kutschen wie im 19. Jahrhundert halten Busse auf dem Pflaster. Gekommen sind viele Touristen. Inmitten das Reiterstandbild des sächsischen Königs Johann. Der Platz wirkt so machtvoll deutsch, dass Pegida gar nicht anders konnte, als hier die Lieder vom zu verteidigenden Abendland und den bösen Fremden zu singen. Deutschland hätte (deutsche) »Helden« wieder nötig, klang es aus den Megafonen. Damit nicht passiert, dass solche Typen wieder schießen auf das, worauf sie verbal eindreschen, hat das Haus den »Missbrauch« stets attackiert.

Verdis »Macht des Schicksals« handelt von Ausgrenzung, falschen Ehrbegriffen und fatalen Kämpfen. Die Oper lenkt auf die Frage: Was ist Heldentum? Keine Oper ohne Helden beiderlei Geschlechts, solche, die lieben und geliebt und betrogen werden und blutig siegen und sterben. Heldentum geht durch die Geschichte der Gattung. Treibendes Moment ist die göttliche Fügung, gegen die alles Trachten der Menschen nicht ankann. »Der Mensch denkt, Gott lenkt.« Jeder habe sich seinem Schicksal zu fügen.

Ein Leitspruch, gegen den die europäischen und nordamerikanischen Aufklärer, sich ihrer modernen Erkenntnisse bewusst, wütend zu Felde zogen. Sie bevorzugten die Idee der Selbstbestimmtheit des Menschen. Aber jenes vorbestimmte Heldentum stand alsbald im Verfall, wie die Stadt Mahagonny bei Bert Brecht und Kurt Weill mit ihren Bewohnern, die gar keine Helden mehr hat. Was bei Verdi schon anklingt: Alle, die guten wie bösen, stehen bei ihm unter Epochendruck und sind auf je andere Weise angeschlagen, deformiert, todtraurig, einsam. Den erhabenen, reinen Helden gibt es bei ihm nicht. Verdi selbst war Revolutionär und später, als anerkannter Meister seines Fachs, in schwierigen Zeiten sogar Parlamentarier. Nach der verlorenen Revolution 1948/49 war er, wie die meisten seiner Freunde, zutiefst deprimiert: »Noch herrscht Gewalt in der Welt! Die Gerechtigkeit? Was will sie gegen Bajonette ausrichten! Wir können nur unser Unglück beweinen und die Urheber allen Unglücks verfluchen!«

Keith Warner inszenierte »Die Macht des Schicksals« in der Semperoper mit ersten Sängerinnen und Sängern, hervorragend einstudierten Chören (Jörn Hinnerk Andresen) und der Sächsischen Staatskapelle unter Mark Wigglesworth. Ein Erlebnis, die Partien des Paares mit Emely Magee als Leonora und Gregory Kunde als Alvaro anzuhören, obwohl Leonora nur in den Eck-Akten singt. Desgleichen die des Alexey Markov als Leonoras Bruder Carlo. Vier Akte rollen über dreieinhalb Stunden ab (mit den Längen hatte Verdi schon seine Probleme), und die Aufführung steckt voller Symbole. Die Kreuzessymbolik hat Bühnenbildnerin Julia Müer variantenreich ins Bild gesetzt. Ihre Ausgestaltung prägt den Bühnenboden mit Bändern ebenso, wie sie sich in den Kriegsszenen, den Volksansammlungen, der Einsamkeit der Häuser und Klosterstätten festsetzt. Auch das handgreifliche Kreuz aus Holz verlässt die einzelnen Akte und Begebnisse nicht. Gott lenkt. Doch Verdi wäre nicht Verdi, würde die ureigene Subjektivität der Protagonisten der Bestimmtheit von Gottes Fingern nicht hilfreich zur Seite stehen. Das geschieht hauptsächlich musikalisch, in den Arien, den Duetten, den Ensembles. Vokal wie instrumental so gewaltige wie hochempfindsame Musik. Symbole ebenso die Frau im Brautkleid und der Vorfahre aus der Kultur Mexikos. Virtuell wandeln und stehen sie, mal wie mahnende Säulen im Vorhof des Fürstenhauses, mal auf der Empore. Die Braut verkörpert die verhinderte Hochzeit des Paares und der reich geschmückte dunkle Vorfahre den Verhinderungsgrund. Eine sehr passende, klare, schöne Symbolik (Kostüme Tilo Steffens). Daneben die Volksszenen, auf die es Verdi immer ankam, so der Stoff es gebot. Christina Bock als Preziosilla ist die Leidenschaft selbst. Sie sagt den Soldaten wahr, sie liebt den Krieg, weil er sie versorgt, und empfiehlt auch dem Volk, ihn zu lieben. Später tanzt sie nach wilden spanischen Rhythmen und verspricht den Leuten Ruhm und Reichtum. Pietro Spanioli als Bruder Melitone erledigt - Ekel und Humor in eins gepackt - das Geschäft der Armenspeisung. Bei ihm Alvaro als verkleideter Klosterbruder Raffaele, der die Güte selbst ist und darum verdächtig. Große Nummer.

Das Libretto schrieb Francesco Maria Piave nach einem Drama von Ángel de Saavedra. Verdi war es wichtig, auch Elemente aus Schillers »Wallenstein« einzubauen, Abschnitte aus der Kapuzinerpredigt. Der II. Akt steht hierfür. In Weiß die aufgereihten Kirchenbrüder, vor denen Bassist Stephan Milling als stimmmächtiger Padre Guardiano Leonora die Weihe gibt. Sie entschied sich - gegen die Schicksalsmächte - für die Einsamkeit des Klosters, nachdem Carlo, ihr Bruder, sie verflucht hatte. Carlo will den Tod seines Vaters rächen. Darüber glaubt der Verirrte, allen Erklärungen Unzugängliche, die fürstliche Ehre seiner Familie wieder herstellen zu können. Das Motiv geistert durch die Oper und endet in der Katastrophe. Im Krieg unerkannt, wurden Alvaro und Carlo noch Freunde. Der eine rettete dem anderen das Leben. Aber Carlo erkennt den »Schänder« und »Mörder«. Es kommt zum Duell. Carlo stirbt nicht, bevor er die Schwester tödlich getroffen hat. Der Prozess der Verfolgung geht in der Oper über Jahre. Auch Alvaro verschwindet, wie angedeutet, in der Versenkung des Mönchstums und wird Prediger. Alle suchen und fürchten sich und finden schließlich über Umwege und Zufälle zusammen und erliegen ihrem »Schicksal«.

Nächste Aufführungen: 2., 5., 8., 11., 16. und 19. Mai; semperoper.de

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