Werbung
  • Politik
  • Abschiebeprotest in Ellwangen

Debatte um Polizeirazzia in Flüchtlingslager

Großeinsatz in Ellwangen nach verhinderter Abschiebung / LINKE: Verhalten der Geflüchteten ist verständlich

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Polizei hat am Donnerstagmorgen mit Hunderten Beamten eine Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen durchsucht. Ein 23-jähriger Flüchtling aus Togo wurde dabei in Gewahrsam genommen und soll nun nach Italien gebracht werden. Eigentlich sollte der Mann aus dem westafrikanischen Kleinstaat bereits am Montag abgeschoben werden. Mutmaßlich etwa 150 bis 200 Flüchtlinge der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) hatten dies aber verhindert, indem sie Streifenwagen umstellten. Die Polizei brach die Aktion deswegen ab.

Die folgende Durchsuchung am Donnerstag führte zu Verletzungen und Angst unter den Bewohnern. Ein Flüchtling berichtete gegenüber der »Schwäbischen Zeitung«: »Wir haben geschlafen, da kamen sie rein, weckten uns laut, haben getreten und geschlagen und alle Sachen durcheinandergebracht. Ich wusste gar nicht, was los ist.« Der 34-jährige Ndidi aus Nigeria schilderte auf Englisch weiter: »Sie haben alle rausgeholt aus den Zimmern, haben viele gefesselt, manche Leute sind verletzt worden.« Mehrere Flüchtlinge sprangen während der Razzia aus Fenstern der Unterkunft und mussten behandelt werden. Laut den Behörden wurde auch ein Polizist verletzt.

»Wir hatten in der LEA Hinweise auf Strukturen, die behördliche Maßnahmen unterbinden wollen«, sagte Polizeivizepräsident Bernhard Weber auf einer Pressekonferenz. Ein Ziel des Einsatzes sei gewesen, diese Strukturen aufzubrechen. Der 23-Jährige und weitere 17 Bewohner, die in der Vergangenheit wiederholt aufgefallen seien, sollten nun in andere Landeserstaufnahmeeinrichtungen gebracht werden. Die »Unruhestifter« wären aber schon vorher für Verlegungen vorgesehen gewesen. Der 23-Jährige soll im Anschluss nach Italien abgeschoben werden.

Um die Vorgänge entspann sich eine scharfe politische Debatte. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bezeichnete das Verhalten der Flüchtlinge als »empörend« und als »Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung«. Für ihn sei klar, »dass das Gastrecht nicht mit Füßen getreten werden darf«. Er stehe »politisch voll hinter den Maßnahmen der baden-württembergischen Sicherheitsbehörden und der Polizei«. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster forderte einen härteren Kurs der Sicherheitsbehörden. »Wer rote Linien überschreitet muss Vorfahrt bekommen bei der Beendigung seines Asylverfahrens und der Abschiebung«, sagte der CDU-Politiker.

Auch die FDP-Innenexpertin Linda Teuteberg begrüßte das Vorgehen der Behörden. »Es ist gut, dass die Polizei hier gleichermaßen zügig, entschlossen und besonnen gehandelt hat«, sagte Teuteberg.

Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic beklagte, dass die die Polizei an der »Durchführung rechtmäßiger Maßnahmen« gehindert wurde, kritisierte aber gleichzeitig auch die Pläne der Bundesregierung für neue Rückführungszentren. »Da entsteht eine Dynamik und ein Gewaltpotenzial, und das alles auch auf dem Rücken der Einsatzkräfte der Polizei«, so Mihalic. »Auch vor dem Hintergrund sollte die Bundesregierung ihre Pläne für Ankerzentren noch einmal grundsätzlich überdenken.«

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, kritisierte die Razzia. »Mit martialischen Großeinsätzen der Polizei werden nicht nur Schutzsuchende in Angst und Schrecken versetzt, sondern gezielt Bilder von angeblich kriminellen und gewalttätigen Flüchtlingen produziert«, erklärte die Politikerin. »Dass der Betroffene nicht nach Italien zurückkehren möchte, ist nachvollziehbar, denn dort müssen viele Flüchtlinge auf der Straße leben«, sagte Jelpke weiter. Auch dass andere Bewohner der Unterkunft sich mit ihm solidarisierten, sei »angesichts gravierender Mängel im italienischen Asylsystem« verständlich.

Jelpke lehnt es ab, wenn Flüchtlinge nun als Bedrohung dargestellt werden. »Anstatt den Druck auf Geflüchtete immer weiter zu erhöhen, brauchen wir eine wirksame Bleiberechtsregelung.« Mit Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal