Alltägliche Gewalt gegen Obdachlose

Regelmäßige Übergriffe in Rheinland-Pfalz

  • Lesedauer: 3 Min.

Koblenz/Mainz. Von Beleidigungen bis hin zu Totschlag oder Mord: Immer wieder sind obdachlose Menschen Opfer von Gewalt. »Das ist eine alltägliche Erfahrung, die diese Leute machen müssen«, sagt der Koblenzer Sozialarbeiter Erwin Weber. Gerade am Wochenende gebe es Übergriffe, wenn Betrunkene durch die Fußgängerzone nach Hause liefen und dabei an den Schlafplätzen der Menschen ohne Obdach vorbeikämen. Es komme immer wieder zu Pöbeleien, oder Wertsachen wie Geld oder Radios werden weggenommen. In einem Fall seien einem schlafenden Mann, dem ein Unterschenkel fehlte, die Krücken gestohlen worden. In Koblenz wurde am 23. März ein Obdachloser tot aufgefunden. Er war enthauptet worden. Sein Fall hat große Empörung und Anteilnahme ausgelöst.

Ähnliches wie Weber kann auch Sabine Hamann aus Mainz berichten. Die Mitarbeiterin der Starthilfe, die Obdachlose berät, bestätigte, dass Menschen immer wieder auf der Straße von Passanten beschimpft werden. »Die glauben, der Wohnungslose habe sein Schicksal selbst gewählt und man könne auf ihn herabsehen«, sagt Hamann. Vor Jahren sei in Mainz sogar der Schlafsack eines Schlafenden angezündet worden.

Was bewegt jemanden zu solchen Gewalttaten? »Da geht es oft darum, die Menschen zu demütigen«, sagt die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) in Berlin, Werena Rosenke. Das könne immer bei Tätern beobachtet werden, die selbst nicht obdachlos seien. Diese hätten oftmals selbst keinen hohen sozialen Status und suchten sich dann Personen, die gefühlt noch weiter unter ihnen stünden. Auch rechte Gewalt gegen wohnungslose Menschen sei ein andauerndes Phänomen.

Bei einem gewalttätigen Streit unter Wohnungslosen gebe es ein solches Gefälle nicht. In solchen Fällen gehe es oft um knappe Ressourcen wie einen sicheren Schlafplatz, Geld oder Tabak, erklärt Rosenke. Dabei seien oftmals Täter und Opfer betrunken, »so dass kleine Anlässe eskalieren«. Außerdem erleichtere in vielen Fällen die Lebenssituation den Ausbruch von Gewalt. »Die stehen ja dauernd unter Stress«, sagt Rosenke. Betroffene müssten beispielsweise stets befürchten, bestohlen zu werden oder seien in Unterkünften auf engem Raum mit vielen anderen Menschen untergebracht.

Wie oft Obdachlose in Deutschland beleidigt, verprügelt oder Opfer sonstiger Gewalt werden, ist Rosenke zufolge nicht bekannt. »Das ist nirgendwo mit harten Zahlen erfasst«, sagt sie. Auch den Mitarbeitern der kriminalistischen Zentralstelle mit Sitz in Wiesbaden ist keine wissenschaftliche Statistik oder Studie bekannt. Rosenke kritisiert das Fehlen von Zahlen: »Wir halten das für ein großes Defizit und es hat meiner Meinung nach ganz deutlich mit dem geringen sozialen Status zu tun, den die Leute haben.«

Die BAG W wertet seit 1989 systematisch Presseberichte über Gewalt gegen obdachlose Menschen aus. Demnach kamen im vergangenen Jahr bundesweit mindestens 18 Obdachlose gewaltsam zu Tode, wobei in den meisten Fällen die Täter selbst wohnungslos waren. dpa/nd

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