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- Peter Sodanns DDR-Bibliothek
Der alte Mann und die Bücher
Peter Sodann sucht Genossen, um den Weiterbetrieb seiner DDR-Bibliothek zu sichern
Die »Weltgeschichte in fünf Bänden« steht zwischen Emile Zola und Erich Honeckers »Aus meinem Leben«. Darunter: Harry Thürk, darüber: Hermann Kant. Alles verstaut in Kartons, die dereinst Südfrüchte enthielten. An der Stirnwand der alten Scheune im stolzen Rittergut prangt ein Spruch: »In den Bananenkisten des Westens schlummert das Wissen des Ostens«. Es sind viele Kisten, es ist viel Wissen. Ob es je wieder zur Kenntnis genommen wird? Wer weiß.
Staucha in der Lommatzscher Pflege: Weite Felder oberhalb des Elbtals bei Meißen; geduckte Dörfer, knorrige Menschen. Einer von ihnen ist der Schauspieler Peter Sodann, der einst Kommissar im »Tatort« und Chef eines Theaters in Halle war und nun ein Biotop betreut: ein Refugium für die Literatur der DDR. Nach der, wie Sodann es formuliert, »Zeit ihres Seins« wurden auch die Bücher der DDR vielerorts aus den Regalen geräumt, landeten auf dem Müll oder im Ofen. »Ich wollte, dass diese Schweinerei aufhört«, sagt Sodann. Er begann, die verstoßenen Bücher aufzubewahren, musste mit den Unmengen an Kisten aber eine Odyssee antreten, weil er in Halle nicht bleiben durfte und in Merseburg auch nicht. Danach klapperte er zwei Dutzend alte Schlösser und Fabriken ab. In Staucha kam er schließlich unter. Zwei Jahre wurde umgebaut und eingeräumt, im Mai 2012 eröffnet. Es gab ein schönes Fest und viele weitere Bücherkisten als Gastgeschenke. Bürgermeister Peter Geißler, der Sodann in sein 758 Jahre altes Dorf geholt und viel Fördergeld besorgt hatte, träumte von Staucha als »Bücherdorf«.
Fünf Jahre später füllt die DDR-Literatur geschätzte zehn Regalkilometer unterm hölzernen Dachstuhl über dem alten Kuhstall. Sortiert nach Herausgebern von »Volk und Welt« bis zum »Verlag der Kasernierten Volkspolizei«; abgestellt auf Regalen, die in der Deutschen Bücherei in Leipzig aussortiert, von Sodann in einer Auktion erworben und eigenhändig passend gemacht wurden. Wer durch die langen Reihen stöbert, stellt fest, dass Bücherfreunde im Leseland DDR mit reichlich Stoff für ihre Leidenschaft versorgt wurden. Das »Urania Tierreich« ist zu finden und dicke Bündel der roten »Weltbühne«-Heftchen; Jugendbücher von Friedrich Gerstäcker ebenso wie erotische Miniaturen und die »Geschichte der Arbeiterbewegung«. Viele der Bücher sind in mehreren Exemplaren vorrätig. Wer will, kann eines erwerben: Der Bibliothek ist ein Antiquariat angeschlossen, das ganz gut läuft. Einmal, sagt Sodann, habe er in einer Woche gleich vier Exemplare von Nikolai Ostrowskis »Wie der Stahl gehärtet wurde« verkauft. Das war für die Kasse und die Moral eine gute Woche.
Allerdings muss auch gesagt werden: Nicht jede Woche ist gut; nicht alle Träume, die bei der Eröffnungsfeier vor sechs Jahren formuliert wurden, haben sich erfüllt. Bibliotheken, hatte Sodann damals gesagt, seien Orte, in denen Menschen »die Chance bekommen, das Leben und sich selbst zu erkennen«. Allerdings ist der Erkenntnisdrang in dieser Zeit wohl nicht so ausgeprägt, wie Sodann einst gehofft hatte. Ja, es kommen Reisegruppen, die sich von dem Ex-TV-Kommissar durch die Bücherreihen führen und im kleinen Hoftheater mit Schnurren ergötzen lassen. Ortsgruppen der »Volkssolidarität« sind ebenso darunter wie Gruppen westdeutscher Studienräte. Dass sich Menschen, die »wissen wollen, warum alles so geworden ist, wie es geworden ist«, in seiner »Herberge zum guten Buch« einquartieren, ist indes die Ausnahme. Vom quirligen intellektuellen Leben der großen Städte ist Sodanns nunmehriger Wohnort weit weg. Auch finanziell, räumt er ein, sei die Lage nicht einfach. Nur das Antiquariat wirft ein wenig Geld ab; dazu kommen Spenden; die Gemeinde beteiligt sich an den Betriebskosten. Für mehr als anderthalb Angestellte reicht das aber nicht. Dabei sind zahllose Bücherkisten noch nicht ausgepackt, und ständig bringen Besucher weitere. »Selbst ihre Kinderbücher«, knurrt Sodann: »Warum geben sie die denn nicht lieber ihren Enkeln zu lesen?!«
Sodann würde sich mehr Unterstützung wünschen. Doch der altkluge Rat eines Ex-Bundespräsidenten, er möge sich einen Sponsor suchen, führte nicht weit. Auch seine Idee, jeder Ministerpräsident eines ostdeutschen Bundeslandes möge eine Stelle finanzieren, wird wohl ein frommer Wunsch bleiben. Die im Förderverein der Bibliothek erwogene Idee, eine Stiftung zu gründen, lehnt Sodann ab: »Das ist doch nur ein verlängerter Arm des Staates.« Am sympathischsten ist ihm die Vorstellung, den Fortbestand der Bibliothek mit Gründung einer Genossenschaft zu sichern - demokratisch, solidarisch, selbstverwaltet. »1000 Leute, die je 1000 Euro an Anteilen mitbringen«, sagt Sodann: »Das würde uns weit bringen.«
Vielleicht also klingelt demnächst das Telefon in seinem Büro. Oder potenzielle Genossen machen sich gleich selbst auf den Weg nach Staucha: in die Bibliothek, die, sagt Sodann, für ihn »eine Art Heimat geworden« sei. Eine Heimat, die ein wenig einsam zwischen weiten Rapsfeldern liegt.
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