• Kultur
  • Dokumentation über digitale Müllsammler

Vom Verschwinden der schlechten Dinge

Die Dokumentation »The Cleaners« handelt von Menschen, die Inhalte aus dem Internet löschen

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Saul Ascher 1818 seine »Idee einer Preßfreiheit und Censurordnung« vorlegte, war er von einer wohlbekannten Zerrissenheit befallen, die Freiheit zwar zu wollen, nicht aber die damit gegebene Möglichkeit zu Verleumdung und Aggression. Sein Vorschlag lautete, dass Zensur nie den Inhalt, sondern die Form anzutasten habe. Jeder sage, was er will, doch man sorge dafür, dass gewisse Grenzen nicht überschritten werden. Ascher wollte also trennen, was sich praktisch nicht trennen lässt. Wer ein Medium für das Gute öffnet, öffnet es auch fürs Schlechte, und wenn schon im täglichen Betrieb beides stets ineinandergreift, so scheint erst recht unmöglich, dies Chaos in ein allgemeines Handlungsgesetz zu überführen. An eben dieser Schnittstelle setzt exakte 200 Jahre und ein Internet später die Dokumentation »The Cleaners« an.

Trailer von "The Cleaners"

Der Film handelt von Menschen, die illegale Inhalte aus dem Internet löschen, als Content Moderators für Konzerne wie Facebook oder Google. Illegal ist, was den Konzernrichtlinien oder dem Gesetz zuwiderläuft: sexueller Missbrauch, Hinrichtungen, Folter, Tierquälerei, Mobbing, Verleumdungen, Fake News, aber auch harmlose Erotik, Satire, Kunst und unerwünschte Kritik an Regierungen, die drohen, im Fall der Nichtlöschung die betreffenden Dienste in ihren Ländern zu sperren.

Es ist, wie so oft, auch hier nicht von Vorteil, dass die Macher dem Geschehen keinen Kommentar geben. Man hätte doch gern gewusst, ob sie die Aporien selber als solche sehen. Sie deuten keine Lösung an, doch auch nicht, dass es keine geben könne. Es wird nur gezeigt, und das ist im Dokumentar-Genre einfach nicht genug. Gewiss kann das Gezeigte sich sehen lassen; Bild und Thema korrespondieren. Man sieht etwa einen Händler einen Fisch ausnehmen, Arbeiter beim Müllsortieren, und immer wieder werden Textnachrichten eingeblendet, die sich gleich wieder löschen. Eine Frau erzählt, dass sie den Job angenommen habe, weil sie nicht als Müllsammlerin in Manila arbeiten wollte; nun sammelt sie digitalen Müll. Rührend auch das Bekenntnis eines anderen Cleaners: »Eines Tages werden die schlechten Dinge verschwunden sein.« Das erinnert an den Polizisten, der tatsächlich glaubt, Verbrechen zu bekämpfen. Vielleicht muss man so glauben bei dieser Art Tätigkeit, die verschwindet, als sei sie nie gewesen, sobald man sie beendet.

Der Film wirft Licht auf eine Schattenindustrie. Folglich arbeitet er effektvoll mit der Beleuchtung. Die meisten Szenen sind bei Nacht und Dunkelheit gedreht. Wenn zum Ende dann Mark Zuckerberg auf einer hell erleuchteten Bühne seine üblichen Reden schwingt, als bastle er eben an der Einrichtung des Paradieses, kollidieren die Wirklichkeit und die Erzählung eines Konzerns über sich selbst. Das Leitmotiv des Films ist die Intransparenz. Die Cleaner dürfen über ihren Job mit Außenstehenden nicht reden. Das folgt einer gespenstischen Logik, dernach, wie in George Orwells dystopischem Roman »1984«, das zu Löschende nicht bloß getilgt, sondern nie gewesen sein soll. Und all das passiert in privatwirtschaftlichen Strukturen. Die klassische, staatliche Zensur, wie sie in Europa noch im 19. Jahrhundert gepflogen war, konnte ungerecht sein, schlecht informiert oder zu forsch. Aber sie war ein öffentlicher Vorgang; man wusste in der Regel, worum es ging, der Zensor hatte Name und Adresse. Die wichtigste Botschaft des Films ist, dass es Zensur tatsächlich gibt - überall, nicht bloß in längst vergangenen Zeiten oder entlegenen Weltorten - und dass es sie geben muss. Eben deswegen, folgt hieraus, stellt sich vor allem die Frage nach ihrer Organisationsform.

»The Cleaners«, Deutschland/Brasilien 2018. Regie: Hans Block, Moritz Riesewick. Drehbuch: Hans Block, Moritz Riesewick, Georg Tschurtschenthaler. 88 Min.

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