Gegen die Angst im Klinikbett

Mit einem Gesetz zum Patientenschutz reagiert Niedersachsen auf die Mordserie eines Pflegers

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Ist in der Spritze wirklich das ärztlich verordnete Medikament oder eines, das mir schadet, vielleicht sogar den Tod bringt? Insgeheim mag diese Frage so manche Patientin, manchen Patienten bewegen, wenn im Krankenhaus eine Injektion bevorsteht. Ausgelöst hat solche Befürchtungen die Mordserie des Pflegers Niels H. in Niedersachsen. Dort hat die rot-schwarze Landesregierung jetzt die Neufassung des Krankenhausgesetzes vorbereitet, um Menschen, die sich in stationärer Behandlung befinden, Ängste vor Übergriffen in der Klinik zu nehmen.

Die neuen Bestimmungen besagen unter anderem, dass künftig in allen Krankenhäusern »Stationsapotheker« zum Team gehören. Jene Pharmazeuten, die es in einigen Kliniken schon gibt, werden beratend tätig sein und darauf achten, welche Medikamente verabreicht werden und wie viel davon die Patienten bekommen. Einem solchen Apotheker wäre vermutlich aufgefallen, dass Niels H. ziemlich oft zu Medizin griff, mit der er bei Patienten lebensbedrohende und nicht selten tödliche Herzattacken auslöste. Darüber hinaus soll eine Arzneimittelkommission auf den Medikamenteneinsatz in Kliniken achten, besagt die Gesetzesnovelle.

Sie schafft zudem die rechtliche Grundlage für ein »anonymes Mitteilungssystem«. Es soll Klinikbeschäftigten ermöglichen, »verdächtiges« Geschehen im Krankenhaus zu melden, ohne die eigene Identität preisgeben zu müssen. Das könnte Mitarbeiter ermutigen, zuständige Stellen über Straftaten zu informieren, ohne befürchten zu müssen, unter Kollegen als »Anschwärzer« zu gelten.

Womöglich hätte solch eine Meldung die von Niels H. in Oldenburg und Delmenhorst verübte Mordserie gestoppt, denn auffällig war sein Handeln durchaus. Auffällig oft gab es Alarm auf Station, meldeten die Überwachungssysteme einen Herzstillstand, wenn Niels H. dort Dienst versah. Eilt er dann zum Patienten und versuchte, ihn wiederzubeleben, gelang dies manchmal durchaus und H. konnte sich als »Retter« feiern lassen. Aber nicht selten starb der Kranke.

Über 100 Menschen soll der Pfleger totgespritzt haben. So etwas Schreckliches dürfe es nie wieder geben, unterstrich Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) mit Blick auf das erneuerte Gesetz. Niels H. war wegen sechs seiner Taten bereits 2015 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Im Herbst muss er sich wegen weiterer Tötungsvorwürfe vor dem Landgericht in Oldenburg verantworten. Dort wird die Staatsanwalt ihre Mordvorwürfe mit Erkenntnissen untermauern, die sie durch die Untersuchung toter Menschen nach deren Exhumierung gewonnen hat: Patienten, die auf einer von Niels H. mitbetreuten Station zu dessen Dienstzeit gestorben waren. Womöglich hätte man ihn eher überführen können, wären Todesfälle in seinem Arbeitsbereich näher untersucht worden, vor allem wenn ihre Zahl auffällig hoch erschien.

Konsequenz aus der Überlegung: Die Neufassung des Krankenhausgesetzes schreibt vor, Statistiken anzulegen, die Aufschluss geben, wie viele Menschen in der Klinik gestorben sind und aufgrund welcher Krankheit. Eine Häufung ähnlich eingetretener Todesfälle werde so schneller transparent, meint die Landesregierung. Ihre Gesetzesnovelle muss noch vom Landtag verabschiedet werden; dass dies geschieht, gilt als sicher.

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