Frankfurt feiert, München murrt

DFB-Pokal: Eintracht gewinnt ersten Titel seit 30 Jahren, der FC Bayern könnte profitieren

Frankfurt wird noch lange feiern. Wie lange, das wusste Marius Wolf Samstagnacht auch noch nicht genau. Aber der Mittelfeldspieler von Eintracht Frankfurt korrigierte sich nach dem 3:1-Sieg im Pokalfinale gegen den FC Bayern München sofort: »Das wird eine lange Nacht, nein, das wird eine lange, lange Woche.« Die Sonnenbrille hatte der 22-Jährige, wie fast alle seine Mitspieler, schon nach der zweistündigen Kabinenfeier im Berliner Olympiastadion als unverzichtbares Accessoire auf die Nase gesetzt.

Vom Gegner war da schon lange nichts mehr zu sehen. Die meisten der rund 25 000 Münchner Fans hatten das Stadion recht schnell verlassen, die Mannschaft des FC Bayern den Rasen viel zu schnell. Nachdem sie ihre Medaillen bekommen hatten, verschwanden sie in der Kabine. Auf die Frage, warum sie nicht, wie sonst üblich, die Ehrung des Siegers abgewartet hatten, folgten nur hilflose Erklärungsversuche. »Da hätte uns jemand vom DFB Bescheid sagen müssen, wie das läuft«, sagte Jupp Heynckes. Ihm wurde an diesem Abend aber alles verziehen - nach seinem nun wirklich letzten Spiel als Trainer. »Mit 73 Jahren weiß man nicht, wie lange man noch auf der Welt ist. Ich möchte mein Leben jetzt genießen.«

Andere Ausreden, wie die von Mats Hummels, der gar nicht wisse, was dazu im Pokal-Knigge stehe, wurden zu Recht mit Kritik und Spott bedacht. Der Innenverteidiger hat schon sechs Pokalendspiele erlebt - und weiß genau, wie man sich als Sieger und Verlierer verhält. Für den FC Bayern war es das 22. Finale. Weil es aber nicht zum 19. Titel gereicht hatte, wurde in München nur gemurrt. Am meisten über den ausgebliebenen Elfmeterpfiff von Schiedsrichter Felix Zwayer. In der Nachspielzeit der zweiten Halbzeit wurde Javier Martinez beim Stand von 2:1 für die Eintracht vom Frankfurter Kevin-Prince Boateng im Strafraum von den Beinen geholt. Zwayer stand, trotz Videobeweis, mit seiner Ansicht allein da. Es gab kaum jemanden, der in der Nachbetrachtung diese Attacke nicht als klares Foul bezeichnete. Selbst Boateng nicht. Frankfurts Trainer Niko Kovac sprach vom »Glück des Tüchtigen«.

Während die Frankfurter Worte gütige des Siegers waren, war das Verhalten der Münchner, das von schlechten Verlierern. Im Moment der Niederlage muss niemand beim FC Bayern daran denken, wie oft der Klub selbst schon von Schiedsrichterentscheidungen profitiert hat. Das wäre zu viel verlangt. Warum aber dem Gegner Fairness und Respekt verweigert wurde, erklärte Heynckes etwas unfreiwillig: »Die Enttäuschung war zu groß.«

War die Enttäuschung zu groß, weil der national konkurrenzlose FC Bayern mit diesem Sieg geplant hat? Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge hatte ihn jedenfalls gefordert: »Das ist ein Titel, den wir jetzt unbedingt noch haben möchten.« Grundsätzlich sei ein Titel pro Saison nämlich zu wenig. Und so wurde dann der Empfang am Sonntag auf dem Münchner Marienplatz zu einer reinen Abschiedsfeier für Jupp Heynckes. Der Jubel über die Meisterschale ist nämlich schon lange verklungen - am 7. April hatte der FC Bayern mit einem 4:1 in Augsburg seine sechste Meisterschaft in Folge gewonnen.

Auch im Vorfeld des Pokalfinals hatte Heynckes im Mittelpunkt gestanden, weil es eben auch ein Trainerduell mit dem künftigen Münchner Kovac war. Auch wenn beide davon nichts wissen wollten - letztlich war es genau das. Von der Aufstellung über das Personal bis zum System: Heynckes bot Altbewährtes auf. Und so erspielten sich die Münchner zwar sagenhafte 77 Prozent Ballbesitz und kamen zu 22 Torschüssen. All das führte aber lediglich zum zwischenzeitlichen Ausgleich durch Robert Lewandowski (53. Minute). Weil der FC Bayern zu selten Überraschungsmomente schaffen konnte, weniger kreativ als nach gewohntem Schema spielte und dem Gegner in Sachen Kampf, Willen und Leidenschaft deutlich unterlegen war.

Kovac verspürte eine »große Genugtuung«. Natürlich über den Pokalsieg gegen den großen Favoriten FC Bayern. Aber auch wegen der »Niko, Niko«-Rufe der rund 30 000 Frankfurter Fans im Olympiastadion. Noch vor dem Anpfiff hatte es tatsächlich noch vereinzelte, aber deutlich vernehmbare Pfiffe für den Trainer gegeben. Weil er eben die Eintracht in Richtung München verlässt. Am Sonntag war dann nur eitel Sonnenschein: 25 000 Frankfurter feierten ihre Pokalsieger auf dem Frankfurter Römer, den ersten Titel seit 30 Jahren für die Eintracht - und immer wieder Niko Kovac.

Der 46-Jährige hat in zweieinhalb Jahren »aus einem Fast-Absteiger einen Sieger« gemacht. Mit einer Mannschaft, die den Namen Eintracht verdient, in der jeder für jeden arbeitet, denn nur so funktioniert die Kovac-Taktik: laufen, um zu verteidigen, bis zum Umfallen. Und dann die richtigen Momente finden, um den Gegner mit gemeinschaftlichem Pressing unter Druck zu setzen und blitzschnell auf Angriff umzuschalten. So fiel das 1:0 nach elf Minuten, als der Ball Bayerns James abgejagt und sofort zum Torschützen Ante Rebic in die Spitze gespielt wurde. Ähnlich kam dessen zweiter Treffer (82.) zustande. Das 3:1 erzielte Mijat Gacinovic nach einem langen Lauf in der Nachspielzeit.

Wie man den FC Bayern bezwingen kann, hat Kovac gezeigt. Bald muss er beweisen, dass er auch einen Favoriten und eine Mannschaft mit großen Stars erfolgreich durch eine Saison führen kann. Eine Qualität aber hat er als Trainer, die sie bei den Bayern nicht erst seit dem nun verlorenen Pokalfinale vermissen, sondern mindestens nach vier Halbfinalniederlagen in der Champions League in den vergangenen fünf Jahren: Kovac kann eine Mannschaft perfekt auf K.o.-Spiele einstimmen. Mit Frankfurt gelang ihm zwei Mal hintereinander der Finaleinzug im DFB-Pokal. Jetzt der Sieg. Und auf dem Weg ins diesjährige Endspiel hatte die Eintracht nur einen Gegentreffer kassiert.

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