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  • Eishockey-Team aus Las Vegas

Wer braucht schon Stars?

Vor einem Jahr wurden 30 Eishockeyprofis in die Wüste geschickt. In Las Vegas sorgen sie nun für eine Sensation

Reporterlegende Mike Emrick wollte diesen 6:4-Sieg der Golden Knights aus Las Vegas am Montagabend noch mal ins große Verhältnis setzen. »Vor nur 100 Wochen wurde ihnen erst erlaubt, in die NHL einzusteigen. Und hier sind sie jetzt und gewinnen Spiel eins im Finale um den Stanley Cup.« Eine Cinderella-Story ganz nach dem Geschmack der Amerikaner.

Die National Hockey League ist die kleinste der vier großen Profiligen Nordamerikas. Eishockey ist eher der Sport der Kanadier im hohen kalten Norden. Die Playoffs laufen parallel zu denen der Basketballer in der NBA und bleiben in Sachen Einschaltquoten regelmäßig weit hinter den direkten Kontrahenten zurück. Doch 2018 dürften sie um einiges näherrücken, denn die interessantere Geschichte bieten ein paar Eishockeyprofis in der Wüste.

Mit den Vegas Golden Knights und den Washington Capitals kämpfen zwei Teams um den Stanley Cup, von denen das zu Beginn der Spielzeit kaum einer erwartet hatte. Washington spielt mit Superstar Alexander Owetschkin zwar seit zehn Jahren oben mit, ist aber längst als Mannschaft verschrien, die in den Playoffs auseinanderbricht. Die wirklichen Außenseiter sind jedoch die Knights. Vor nicht mal zwei Jahren wurden sie erst gegründet, am 6. Oktober 2017 traten sie erstmals an, und ein gutes halbes Jahr später stehen sie schon kurz vor dem Titelgewinn.

Die 30 NHL-Klubs hatten 2016 beschlossen, Bewerber für eine Erweiterung zu prüfen. Zwei kamen in die engere Auswahl: einer aus Quebec, einer aus Vegas. Mehr Fans waren in Kanada zu erwarten, mehr Geld aber aus dem Spielerparadies in der Mojave-Wüste. Also bekamen die Knights den Zuschlag, deren Besitzer die 500 Millionen US-Dollar Erweiterungsgebühr auch schnell zusammen hatten.

Was folgte, ist aber mit Geld nicht mehr erklärbar. Neueinsteiger brauchen sonst viele Jahre, bis sie mit den besten Teams der Liga mithalten. Um den Anfang nicht noch schwerer zu machen, durfte Las Vegas im Juni 2017 aus den Kadern der anderen Teams je einen Spieler verpflichten - jedoch keinen der besten acht Spieler, die von den Kontrahenten geblockt werden durften. Kein Spieler der Knights war also ein Star - mit Ausnahme von Torwart Marc-André Fleury, der jedoch die erste Saisonhälfte gleich mal verletzt ausfiel.

Zur Überraschung aller spielte Vegas dennoch schnell erfolgreich, und zog sogar als Divisionsgewinner in die Playoffs ein, was zuletzt den Philadelphia Flyers vor 50 Jahren gelungen war, als deren Division völlig neu gegründet wurde. Mit 51 Siegen und 109 Punkten stellten die Knights weitere Rekorde für eine Debütsaison auf. Doch damit nicht genug.

Erster Playoff-Gegner waren die Los Angeles Kings, deren Star Drew Doughty vor der Serie noch tönte: »Es ist unmöglich, dass sie am Ende besser sind als wir.« Las Vegas gewann mit 4:0 - der erste Durchmarsch eines Debütteams in einer Playoff-Serie. Den folgenden Finaleinzug schafften von solchen Klubs vorher auch nur die Toronto Arenas 1918 in der ersten NHL-Saison und die St. Louis Blues 1968, nachdem sich die Liga von sechs auf zwölf Teams verdoppelt hatte.

Ein einzelnes Expansionsteam hat im Grunde noch nie sofort den Stanley Cup gewonnen. Die Knights brauchen dazu nun nur noch drei Siege. Die Wettquoten für diesen Lauf der Dinge lagen im Oktober bei 500:1. Jetzt ist Vegas bei den Buchmachern schon Favorit. »Für die Liga ist es die beste Story der jüngeren Vergangenheit. Die Nation ist fasziniert«, schrieb das Magazin »Forbes«. Und Reporter Mike Emrick freut sich über beste Einschaltquoten seines Senders NBC. Schon die Halbfinalserie zwischen Las Vegas und Winnipeg lockte 23 Prozent mehr Zuschauer an die Geräte als die im Vorjahr. Für Knights-Verteidiger Deryk Engelland ist all das noch immer kaum fassbar: »Als wir letztes Jahr neu zusammenkamen, hätte das keiner von uns für möglich gehalten.«

13 Spieler erhöhten in diesem Jahr ihre Karrierebestwerte in Scorerpunkten (Tore plus Torvorlagen), darunter auch William Karlsson. Den 25-jährigen Schweden hatte Columbus freiwillig nach Las Vegas geschickt. Dazu gaben die Blue Jackets auch noch die Rechte an zwei jungen Talenten sowie einen weiteren Spieler ab, alles nur damit sich die Knights keinen anderen ungeschützten Spieler aussuchen. Karlsson wurde alsdann mit 43 Toren bester Schütze für Vegas und verdreifachte seinen eigenen Rekord auf 78 Scorerpunkte.

Trainer Gerard Gallant hat offensichtlich eine Einheit aus Spielern geformt, die alle aus ihrem Leben gerissen und buchstäblich in die Wüste geschickt worden waren. Die gemeinsame Erfahrung schweißte dabei ebenso zusammen wie ein tragisches Ereignis fünf Tage vor Saisonbeginn: Ganz in der Nähe der heimischen Arena hatte ein Amokschütze aus einem Hotelfenster heraus 58 Menschen erschossen und Hunderte verletzt. »Wir wussten, wenn wir den Menschen ein Team geben, auf dass sie stolz sein können, einen Grund zum Jubeln, dann können wir ein kleines bisschen Linderung bieten«, sagt Torwart Fleury heute. Die Diskussionen darüber einte auch die Mannschaft. »Das brachte uns auf eine gemeinsame persönliche Ebene«, erinnert sich Engelland.

In Gedenken an die Opfer wird die Trikotnummer 58 nie mehr vergeben - sonst eine Aktion zu Ehren erfolgreicher Veteranen, die Las Vegas aber noch gar nicht hat. Das könnte sich in ein paar Tagen ändern. »Wir haben einige Rekorde gebrochen«, sagte Stürmer James Neal. »Wie könnte man eine solche Saison besser beenden als mit dem Stanley Cup?«

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