Berliner Fußballkneipenküche

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Futtern wie bei Muttern« war in Berlin einst ein beliebter Werbeslogan für jene Gaststätten, die sich irgendwo zwischen Bierstampe und Restaurant positionierten. Deftige, hausgemachte Gerichte wurden auch in vielen Eckkneipen gereicht, vom Solei bis zum Brathering, von der Linsensuppe bis zum Eisbein mit Sauerkraut und Erbspüree. Doch der Werbespruch steht genderpolitisch natürlich auf dem Index. Teure Konzessions- und Umweltauflagen für den Küchenbetrieb haben zudem dafür gesorgt, dass die klassische Berliner Kneipenküche längst auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Institutionen zu finden ist.

Zu den Leuchttürmen dieser Gastrokultur gehörten früher die Stammlokale von Fußballvereinen. Das liegt nahe, denn nach Training oder Spiel brauchten hungrige Männer außer Bier auch was Anständiges im Magen, von den zahllosen Feiern in diesen Soziotopen ganz zu schweigen. Es gibt nur noch wenige authentische Relikte dieser glorreichen Zeit. Dazu gehört der »Fußballtreff« in der Levetzowstraße im alten Arbeiterbezirk Moabit. Hier hat seit langer Zeit der Traditionsverein »Minerva 93« sein öffentliches Wohnzimmer. Man blickt auf eine ruhmreiche Vergangenheit, mit der 1932 errungenen Berlin-Brandenburgischen Vizemeisterschaft als Höhepunkt. Und auch später hat es so manch Minerva-Junge in den Olymp des Fußballs geschafft, zum Beispiel der mehrmalige Nationalspieler Bernd Patzke. Derzeit dümpelt Minerva allerdings in der Kreisliga A, der 9. Spielklasse des Fußballbetriebs.

Dem fröhlichen Leben in dieser Kneipe tut dies allerdings keinen Abbruch. Vor allem, weil Margot hier seit über 40 Jahren das Regiment über Töpfe und Pfannen führt und sich dabei erfreulich resistent gegen alle modernistischen Küchentrends zeigt. Hier schmeckt der Kartoffelsalat noch nach Kartoffelsalat, und die Königsberger Klopse kommen mit reichlich Kapern in einer sämigen Soße auf den Teller. Hier bekommt man bisweilen noch Brühnudeln mit Rindfleisch, Leber »Berliner Art« mit Apfel- und Zwiebelringen oder eine anständige Schlachteplatte. Eine Speisekarte gibt es nicht, das Angebot wechselt täglich, wenn man mal von Konstanten wie Schnitzel und Buletten absieht. Man kann essen, was man will: Immer und ausnahmslos ist es ein Grund, Margot hochleben zu lassen.

Und so sitzt man an den einfachen Tischen im Schankraum oder im Hinterzimmer, bestaunt die vielen Urkunden, Fotos und Pokale aus der glorreichen Fußballhistorie und lauscht den angeregten Gesprächen der zahlreichen Minerva-Veteranen, die zu den Stammgästen zählen. Wer es richtig nostalgisch mag, kann die aus den letzten Kriegstagen stammenden Einschusslöcher am Tresen bestaunen. Das Bier fließt in Strömen, und irgendwann tritt man satt und zufrieden den Heimweg an, vorbei an den hippen Bars, Ethno-Restaurants und W-Lan-Cafés des »neuen« Moabits. Und wünscht sich, dass Margot und ihre Fangemeinde, der SC Minerva 93 und überhaupt diese Art von Kneipenkultur noch ein Weilchen bestehen bleiben.

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