Das monetäre Kind des Kalten Krieges

Im Juni 1948 nahm der Mythos Währungsreform in Westdeutschland seinen Lauf

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

In Europa endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Wirtschaftlich stand das Land vor dem Nichts - die ökonomische Basis war trotz erheblicher Kriegsschäden weitgehend intakt, doch es fehlte das notwendige Schmiermittel eines Aufschwungs: das Geld.

Zwar blieb die Reichsmark bis 1948 offizielles Zahlungsmittel. Doch Hitlers Währung genoss kein Vertrauen mehr, und ohne Vertrauen ist Notenbankgeld praktisch wertlos. Die Geldmenge war durch die Kriegsfinanzierung über alle Maßen angestiegen. Es drohte eine katastrophale Inflation. Unternehmer drosselten darum die Produktion, Geschäftsleute hielten ihre Waren zurück, und im Alltag verlegten sich die Menschen aufs Tauschen. Die schlechten Erfahrungen mit der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg waren noch frisch.

D-Mark

Die D-Mark wurde am 21. Juni 1948 in den westlichen Besatzungszonen als Zahlungsmittel eingeführt. Sie leitete die Teilung Europas ein. Bis heute gilt die D-Mark vielen aber immer noch als Symbol für wirtschaftlichen Erfolg und Stabilität. Zu Unrecht.

Alle möglichen Pläne geisterten unter den Alliierten herum, ob und wie die deutsche Wirtschaft angekurbelt werden sollte. Geradezu berüchtigt ist bis heute der Morgenthau-Plan, der eine Deindustrialisierung anstrebte. US-Finanzminister Henry Morgenthau wollte verhindern, dass Deutschland je wieder einen Angriffskrieg führen könne. Schließlich hatten große Banken und Industriekonzerne Reichskanzler Adolf Hitler und seinen Aufrüstungskurs maßgeblich unterstützt, wie die 1946/47 erschienenen OMGUS-Berichte der US-amerikanischen Militäradministration zeigen. Sie liegen inzwischen auch in deutscher Übersetzung vor. Frankreich und Russland setzten dagegen mehr auf harte Reparationen, um die immensen Kriegsschäden zu Hause zu beseitigen.

Gegen Morgenthaus Plan machte vor allem der britische Premier Winston Churchill mobil: Deutschland müsse man »fett, aber impotent« machen. Großbritannien war im Krieg vom größten Kreditgeber der Welt zum größten Schuldner der USA geschrumpft. Churchill sorgte sich um die hohen Kosten, welche die britische Besatzungszone verursachte, die von Köln bis Kiel reichte.

Im Januar 1946 schickte die US-Regierung eine Expertengruppe unter Leitung des Ökonomen Gerhard Colm nach Deutschland. Colm war vor seiner Flucht Professor in Kiel gewesen und arbeitete nun im Finanzministerium in Washington. Die Gruppe hatte engen Kontakt zum US- Militärgouverneur General Lucius D. Clay. Dadurch verschwanden Colms Vorschläge nicht, wie so viele andere, in einer Ablage auf Nimmerwiedersehen. Schon im Mai präsentierte die Gruppe ihren »Colm-Dodge-Goldsmith-Plan«. Der für ganz Deutschland aufgestellte Plan enthielt bereits alle zentralen Bestandteile der zwei Jahre später erfolgten Währungsreform.

Briten, Franzosen und Russen lehnten einen solch radikalen Geldschnitt zunächst ab. Doch der heraufziehende Kalte Krieg führte den Westen zusammen und stellte die Sowjetunion ins finanzpolitische Abseits.

Drei Jahre nach Kriegsende brachte es die westdeutsche Wirtschaft nur auf die Hälfte der Leistung von 1936. In den meisten westeuropäischen Ländern und der Sowjetischen Besatzungszone hatte die Industrieproduktion dagegen bereits wieder annähernd das Vorkriegsniveau erreicht.

Noch Anfang 1948 schien es, als ob eine Währungsreform für alle vier Zonen käme. Im Alliierten Kontrollrat, der obersten Besatzungsbehörde, war man sich zeitweilig einig. Dann scherten die USA aus. Washington - und wohl auch Moskau - wollten nun doch keine vierzonale Währungsreform mehr, »da die gesamtpolitische Entwicklung inzwischen eine andere Richtung eingeschlagen hatte«, schrieb die Bundesbank später in einem Jubiläumsband.

An einem Sonntag im Juni war es soweit: Gegen 60 Reichsmark erhielt jeder Deutsche in seiner zuständigen Lebensmittelkartenstelle 40 Deutsche Mark ausgezahlt - nach oft stundenlangem Schlangestehen. Kurz vorher hatten die Alliierten die Bank deutscher Länder, Vorläuferin der Bundesbank, gegründet und mit der Durchführung beauftragt. Bereits am folgenden Montag, den 21. Juni, waren die Läden mit lange nicht gesehenen Waren gefüllt. Der Mythos »Währungsreform« nahm seinen Lauf.

Eine Stunde Null war dies aber nicht. Bankguthaben wurden im Verhältnis 10:1 in D-Mark umgestellt. Wer also Geldvermögen hatte, blieb trotz der nominellen Entwertung der Reichsmark-Guthaben wohlhabend. Von dieser profitierten indirekt die Eigentümer von Grund, Boden und Betrieben sogar.

Die Deutsche Mark war ein Kind des heraufziehenden Kalten Krieges zwischen Ost und West. Und die neue Währung beflügelte wiederum die politische Konfrontation. Wie nach dem Poker im Kontrollrat zu erwarten, führte die UdSSR noch im Juni 1948 auch in ihrer Besatzungszone eine Währungsreform durch. Dafür wurden zunächst Spezialkupons auf die alten Reichsmarkscheine geklebt. Ende Juli kamen die neuen Geldscheine dann auf den Markt. Durch die separaten Währungsreformen in den Westzonen und der Sowjetischen Besatzungszone war die Teilung des verbliebenen Deutschlands monetär und wirtschaftlich besiegelt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.