Verfassungsgericht: Keine deutsche Verantwortung für US-Drohnen

Deutschland muss nach Ansicht des Karlsruher Senats nicht gegen Angriffe via Ramstein vorgehen

Deutschland kann US-Vizepräsident Vance in Ramstein weiter machen lassen.
Deutschland kann US-Vizepräsident Vance in Ramstein weiter machen lassen.

Seit elf Jahren versuchen Ahmed und Khaled bin Ali Jaber, die Bundesrepublik in die Verantwortung für den Tod von Angehörigen bei einem US-Drohnenangriff im Jahr 2012 im jemenitischen Dorf Khashamer zu nehmen. Damit sind sie nun letztinstanzlich gescheitert.

Der Grund für ihre Bemühungen in Deutschland: Die Attacke, die mehrere Zivilisten, unter ihnen Salem und Waleed bin Ali Jaber, das Leben kostete, wäre ohne die Tätigkeit von Militärangehörigen auf der in Rheinland-Pfalz ansässigen US-Luftwaffenbasis Ramstein nicht möglich gewesen. Dort befinden sich die wichtigsten Funkanlagen sowie das größte zentrale Datenverteilungs- und Auswertungszentrum der US-Streitkräfte außerhalb der USA. Die Drohnen werden zwar nicht von dort aus gesteuert, aber Daten für ihre Einsätze werden von den USA per Kabel nach Ramstein geleitet, und von dort werden Signale über eine Satellitenrelaisstation weitergefunkt.

Damit sei Deutschland in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass von seinem Territorium aus keine völkerrechtswidrigen Handlungen begangen werden, so die Auffassung der Kläger. Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag aber entschieden, dass die Bundesrepublik in dem Fall nichts gegen die Drohnenattacken im Jemen hätte unternehmen müssen. Es wies damit die Verfassungsbeschwerde der Brüder zurück. Allerdings obliege der Bundesrepublik »ein allgemeiner Schutzauftrag dahingehend, dass der Schutz grundlegender Menschenrechte und der Kernnormen des humanitären Völkerrechts auch bei Sachverhalten mit Auslandsberührung gewahrt bleibt«, erklärte Gerichtsvizepräsidentin Doris König.

Damit, so König, gehe man über die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts hinaus. Der Senat habe zwei Bedingungen dafür formuliert, dass eine »konkrete Schutzpflicht« entsteht. Zum einen müsse es einen »hinreichenden Bezug zur Staatsgewalt der Bundesrepublik« geben. Zum anderen müsse eine ernsthafte Gefahr der systematischen Verletzung des anwendbaren Völkerrechts vorliegen. Diese sehen die Richter aber im Fall der US-Drohneneinsätze im Jemen nicht. Mit der von einer Drohne auf eine Personengruppe in Khashamer abgefeuerten Rakete wollte die US-Luftwaffe nach eigenen Angaben drei mutmaßliche Mitglieder des islamistischen Netzwerks Al Qaida töten.

»Es ist deutlich geworden, dass der Bundesregierung in der Kooperation mit anderen Staaten großer Spielraum gewährt wird.«

Nils Schmid Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium

Die Kläger wollten erreichen, dass Deutschland Menschen im Ausland vor Drohnenangriffen schützt, in ihrem Fall nachforscht und bei den USA auf die Einhaltung des Völkerrechts dringt. Sie erklärten, sie seien nicht nur für ihre Familie vor Gericht gegangen, sondern »für alle unschuldigen Opfer von Raketenangriffen, im Jemen und überall auf der Welt«.

2014 hatten sie mit anderen Betroffenen Klage beim Verwaltungsgericht Köln gegen eingereicht und die Bundesregierung aufgefordert, die Nutzung Ramsteins für völkerrechtswidrige Drohnenangriffe zu unterbinden. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte 2019 in zweiter Instanz, dass Deutschland eine Schutzpflicht gegenüber potenziell Betroffenen von über Ramstein gesteuerten Einsätzen trägt. Die Bundesregierung müsse aktiv nachforschen, ob US-Angriffe unter Nutzung der Airbase gegen das Völkerrecht verstoßen. Doch das Bundesverwaltungsgericht hob das Urteil 2020 auf und befand, Berlin habe ausreichend Schritte unternommen.

Die Brüder bin Ali Jaber reichten daraufhin 2021 Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung von Artikel 2 des Grundgesetzes ein, der das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit festschreibt. Er gilt auch für Personen, die im Ausland unter den Folgen in Deutschland getroffener Entscheidungen leiden. Karlsruhe befand nun, es reiche nicht aus, dass Ramstein technisch für das US-Drohnenprogramm bedeutsam sei. Es müssten konkrete Entscheidungen auf deutschem Boden getroffen werden, damit die Schutzpflicht der Bundesregierung greife. Dies sei hier nicht der Fall.

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Die Bundesregierung begrüßte das Urteil. Es sei deutlich geworden, »dass der Bundesregierung in der Kooperation mit anderen Staaten großer Spielraum gewährt wird«, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Nils Schmid (SPD). Die Bundesregierung war darüber informiert, dass die US-Streitkräfte Ramstein für die Steuerung von Drohnenangriffen nutzen. Sie hatten dem Bundesverteidigungsministerium 2010 mitgeteilt, dass in Ramstein eine Satelliten-Relaisstation zur Drohnensteuerung im Ausland gebaut werde.

Im verhandelten Fall hatte die Bundesregierung erklärt, es liege kein »qualifizierter Bezug zum Inland« vor. Zur Nutzung der Air Base Ramstein befinde man sich mit den USA in einem »fortlaufenden und vertrauensvollen Dialog«, hatte das Verteidigungsministerium zur Verhandlung im Dezember erklärt. Man habe »wiederholt die Versicherung eingeholt, dass Einsätze von unbemannten Luftfahrzeugen von Deutschland aus in keiner Weise gestartet, gesteuert oder befehligt werden« und dass sich die US-Streitkräfte an geltendes Recht halten.

Nach Angaben von Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) leben die Kläger weiter im Jemen. Seit dem Vorfall 2012 gebe es weiter kontinuierlich Drohnenangriffe in der Region, so der Anwalt. Dies empfänden die Männer als »permanente psychische Bedrohung, eine Bedrohung für ihr Leben«. Die Brüder selbst zeigten sich enttäuscht, dass das Gericht keinerlei Pflicht beim deutschen Staat sehe, potenzielle Opfer zu schützen, »obwohl das Land den tödlichen Angriff mitermöglicht« habe. Das Urteil vermittle »die Botschaft, dass Staaten, die das US-Drohnenprogramm unterstützen, keine Verantwortung tragen, wenn Zivilisten dabei getötet werden«.

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