Schälchen, Stäbchen, Töpfchen

Eine Hochkultur der Bronzezeit: Eine Ausstellung zeigt Turkmenistans altes Königreich Margiana im Neuen Museum

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Eingeklemmt von Kasachstan, Usbekistan, Afghanistan und Iran, sieht Turkmenistan auf der Landkarte aus wie ein gebogener Schlauch. Das Land hat immerhin Zugang zum Kaspischen Meer, auf dessen gegenüberliegender Seite die großen Ölförderanlagen von Baku liegen. Mit 490 000 Quadratkilometern ist dieses südlichste Land Zentralasiens erheblich größer als die Bundesrepublik, hat aber nur knapp 6 Millionen Einwohner, denn ein riesiges Gebiet nimmt die Wüste Karakum ein. Und doch entstand auf dem Territorium der Margiana, einer Landschaft im Süden am Fluss Murgab, während der Bronzezeit eine Hochkultur. Da ist zum einen der Oasenort Merw, vom Perser Dareios und von Alexander dem Großen erobert, von Antiochus zur griechischen Polis ausgebaut, mit 40 Meter dicken, 20 Meter hohen Mauern umgürtet, als Handelsplatz an der Seidenstraße eine Weltstadt. Christen, Juden, Buddhisten und Zoroastrier lebten dort, als der Islam 651 n. Chr. die Stadt friedlich einnahm. Im 11. Jahrhundert machten die Seldschuken Merw zu ihrer Metropole und einer Stadt der Gelehrten, bauten Kanäle, Bade- und Kühlhäuser - bis 1221 die Mongolen unter Dschingis Khan die Stadt brutal zerstörten und fast alle Einwohner töteten. Das war das Ende vom bis heute als Ruinenfeld sichtbaren Merw.

Nur 40 Kilometer von Merw entfernt wurde Anfang der 1970er Jahre die Stadt Gonur Depe (»Grauer Hügel«) entdeckt. Noch wird dort gegraben und Sensationelles geborgen. So fand man weitflächige, von mächtigen Mauerringen umschlossene Baustrukturen, die sich als Wohnareale, Handwerkerviertel und Friedhöfe deuten ließen, mit einem quadratischen Palastgebiet als Zentrum. Auf besonderes Interesse stießen Grabanlagen, die man wegen ihres Schmucks aus filigranen Mosaiken als Königsgräber bezeichnet. Viele der imposanten Fundstücke sind nun in den Museen Turkmenistans zu besichtigen und werden erstmals in diesem Umfang außerhalb des Landes gezeigt. Die Ausstellung »Margiana. Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan« vereint im gewölbeartigen Untergeschoss des Neuen Museums rund 250 Exponate, die von der großen Kunstfertigkeit der margianischen Handwerker zeugen. Bereichert wird die Schau durch zumeist großformatige Farbfotos von Herlinde Koelbl, die während eines zweiwöchigen Aufenthalts vor Ort entstanden und den Eindruck eines Gangs durch die Ruinenstätten verstärken.

Die Ausstellung gliedert sich in 13 Abschnitte, in denen anhand ausgewählter Exponate ein Einblick in die verschiedensten Lebensbereiche geboten wird. Wie die Menschen jener Zeit ausgesehen haben mögen, verdeutlichen Gesichtsrekonstruktionen, die anhand von Grabfunden angefertigt wurden. Daneben einige der ausgegrabenen Glanzstücke von bewundernswertem Erhaltungszustand, eine Kupferaxt mit Hahnenkopf, silberne Siegel, ein Doppelgefäß aus Kalkstein, in Gips segmentierte Mosaiken eines Greifen und von Fabeltieren. Und ein tönernes Röhrengesteck, wie es für Wasserleitungssysteme nicht nur im Palast benutzt wurde und wohl auch Thermen speiste. Der nahe Fluss machte das selbst in der Wüste möglich. Aus hellem Stein ist perfekt ein sitzender Widder geformt; mit ausgebreiteten Flügeln und angezogenen Klauen, die Kanten vergoldet, zeugt ein Raubvogel aus Fayence von genauer Beobachtungsgabe. Viele der Tierfiguren - Ziege, Kamel, Hund, Rind, ein Fisch mit aufgerissenem Maul - dürften Kinderspielzeuge, Ritualobjekte oder Schmuckanhänger gewesen sein. Beeindruckend auch die Statuetten archaisch wirkender bemalter Menschen und Götter.

Wie viel Wert schon damals auf Kosmetik gelegt wurde, beweisen Flakons, Schälchen, Stäbchen mit Widderbesatz, amphorenartige Töpfchen, Spatel und inzwischen blinde Spiegel, aus Silber, Alabaster, Speckstein. Mit Perlenketten aus Stein und Gold, glattgoldenen Armreifen, Haarnadeln und Ohrringen schmückten sich die Frauen. Ihr tönernes Alltagsgeschirr, ob bauchig, trichterförmig oder zylindrisch, ob Gefäße mit zwei Tüllen für den Ausguss, mutet geradezu heutig an. Als wichtig erwiesen sich auch viele kupferlegierte oder steinerne Siegel: zur Verschlusssicherung oder als Produktkennzeichen. Mit Tier- und Blütenmotiven sind sie verziert, grünspanbelegt und wundervoll ziseliert. Prachtvolle Rollsiegel nach auswärtigem Vorbild deuten auf die Fernkontakte hin, nach Mesopotamien und ins Industal, weiterhin nach Syrien, Oman, in die Steppen des Ural. Für Feste wurden wuchtige Schüsseln mit Tierapplikaten genutzt; Pfeile, Dolche, Keulen gab man Toten bei; ein Ring aus Blei gilt als Machtsymbol. Welche Funktion hohe Steinstäbe mit Metall-, Huf-, Kugelaufsatz hatten, ist bislang nicht enträtselt.

»Margiana. Ein Königreich der Bronzezeit in Turkmenistan«, bis 7.10., Neues Museum. www.smb.museum

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