- Politik
- Feminismus in Ägypten
»Wir leben in einer Seifenblase«
Emanzipatorische Bestrebungen verbreiten sich in der städtischen Mittelschicht Ägyptens. In der konservativ geprägten Provinz haben es Frauen weitaus schwerer.
Dunkel schimmert der Nil im Abendlicht. In der Luft hängt das übliche Gedröhne und Gehupe der Autos, die hier in Kairo ständige Begleiter sind. In einer Bar am Flussufer ist die Happy Hour in vollem Gange. Seichte Popmusik made in America dudelt aus den Lautsprechern, auf Sesseln haben es sich Ausländer und die Besserverdienenden unter den Einheimischen bequem gemacht. Vor ihnen steht europäisches Bier, Whiskey oder Wodka. Die Frauen tragen kurz, zeigen Haut, die Männer ebenso.
Hadiya Mohieddin nippt an ihrem Gin Tonic: »An Orten wie diesem kann man sehr gut sehen, was in unserer Gesellschaft verkehrt läuft«, sagt die 46-Jährige und stellt gleich klar: »Damit meine ich nicht die leichte Kleidung oder den Alkohol«. Mohieddin hat Soziologie studiert, dann auf Medizin umgesattelt. Heute arbeitet sie als Ärztin.
»Schauen Sie, die beiden da drüben.« Sie deutet auf ein Pärchen, beide Mitte 20, er hat seinen linken Arm um sie gelegt und stopft mit der rechten Hand einen riesigen Hamburger in sich hinein. Sie stochert währenddessen in einem Salat herum. »Sie macht Diät, er genießt. Er redet nur mit seinen Kumpels, hat den Arm dort liegen, damit kein Zweifel daran aufkommt, wem sein Schmuckstück gehört.« Mohieddin spricht ruhig und unaufgeregt: »Meiner Ansicht nach macht er das nicht bewusst, das steckt in den Männern drin. Sie sind so erzogen. Während man Gesetze einfach ändern kann, muss man andere Gewohnheiten erst einmal offen ansprechen. Wir müssen nicht nur gleiche Rechte für Männer und Frauen erkämpfen, sondern auch die Mentalität ändern.«
Mohieddin ist ein direkter Mensch. Ihr Urteil ist hart, »vielleicht auch manchmal zu hart«, sagt sie selbst: »Ich habe mich nicht dazu entschieden, für die Rechte von Frauen einzutreten. Ich bin Frauenrechtlerin geworden, weil ich mir das Recht nehme, das tun zu dürfen, was Männer tun. Und ich erwarte, dass Männer das nicht tun, was Frauen nicht tun dürfen.« Das Problem dabei sei, dass einer Frau bei jedem Schritt Hindernisse in den Weg gelegt werden: »Als ich mich als Ärztin beworben habe, wurde mir als Gehalt ein Drittel von dem geboten, was ein Mann in dem Job verdient. Soll ich dann nett lächeln und sagen: ›Danke, dass ich für fast umsonst arbeiten darf‹?«
Unter den islamisch geprägten Ländern von Iran bis Marokko ist Ägypten so etwas wie die Schnittmenge. Die politischen Systeme, die Wirtschaft und auch die Probleme unterscheiden sich stark von Land zu Land. Doch gesellschaftlich wirkt Ägypten wie das Amalgam des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas: Es gibt in den Städten eine gut ausgebildete, säkular eingestellte Mittelschicht und auf dem Land eine sehr konservative Bevölkerungsgruppe. Besser als anderswo zeigt sich hier, warum es so enorm schwierig ist, Gleichberechtigung herzustellen oder auch nur für sie einzutreten.
In der Bar in Kairo ist es spät geworden. Mohieddin ist mit dem Pärchen ins Gespräch gekommen. Seit fünf Jahren seien sie nun schon zusammen, erzählt Laila, 26, Studentin, »meine Mutter will, dass ich endlich heirate und Kinder bekomme. Darüber streiten wir ständig.« Fahdi, ihr Freund, ist Betriebswirtschaftler mit einem Abschluss der University of California. Er sitzt daneben, hört sich Mohieddins Einschätzungen über ihn an. Sie ist sehr direkt, sogar konfrontativ. Auf sie richten sich die wütenden Blicke des jungen Paares. Ein langes Streitgespräch über Partnerschaft und Lebensauffassungen beginnt.
Mohieddin ist dreimal geschieden. Jedes Mal ist die Scheidung von ihr ausgegangen: »Ich will, dass sich beide Partner die Hausarbeit teilen, ich will arbeiten, und ich will mit meinen Freundinnen ausgehen, ohne dass mich mein Mann alle fünf Minuten anruft«, sagt sie. »Und ich werde dabei auch keine Kompromisse machen.« Fahdi und Laila glauben dagegen an eine bestimmte Rollenverteilung, an gewisse Zugeständnisse an den Partner: »Er hat nichts dagegen, dass ich studiere, später einmal arbeiten werde«, sagt Laila. »Ich will für ihn gut aussehen, erwarte aber auch, dass er sich fit hält.«
Ob in Kairo, Tunis, Beirut, Bagdad, Teheran, Amman oder Dubai: Gespräche wie diese sind seit einiger Zeit in den Großstädten der islamischen Welt öfter als früher zu hören. Junge Bildungsbürger aus der säkularen Mittel- und Oberschicht sprechen offen über Ehe und Partnerschaft sowie über die Erwartungen aneinander.
»Wir leben in einer Seifenblase«, behauptet Fahdi: »Wir haben Geld, und wir haben ziemlich aufgeschlossene Familien, auch wenn unsere Leute natürlich deutlich sagen, was sie von uns erwarten.« Seine Wut auf Mohieddin ist nach dem langen Wortwechsel verflogen. Er lächelt. Laila drückt ihm einen Kuss auf die Backe: »Das war heute Abend wie 2011«, sagt sie. Wie in jenem Jahr, als Ägypten seinen Langzeitdiktator Hosni Mubarak absetzte und in den Cafés und Bars junge Leute über die Zukunft diskutierten, über die Verfassung und über gleiche Rechte für alle.
Doch es war stets eine Debatte reicher, säkularer Leute. Mohieddin und die beiden jungen Akademiker stammen aus gutbürgerlichen Kairoer Familien, haben gute Schulen besucht und viele Auslandsreisen unternommen. Sie waren von Kindesbeinen mit anderen Lebens- und Weltanschauungen konfrontiert als die Mehrheit der Bevölkerung.
Sehr viel mehr Menschen, nicht nur in Ägypten, sondern überall in der Region, wachsen in einem Umfeld auf, in dem Gedanken von gleichen Rechten für Frauen und Männer nicht aufkommen. Man muss nicht nach Saudi-Arabien fahren, um von einer verschleierten Frau zu hören, dass sie selbst nicht dazu in der Lage sei, die Tragweite einer Entscheidung zu verstehen. Man kann hier lange Erklärungen darüber hören, warum eine Frau, die »die Ehre der Familie beschmutzt«, den Tod verdient hat.
Einige Tage nach der Nacht in der Bar sitzt der 52-jährige Abdullah Ismail in einem kargen Büro in Minya, einer ärmlichen Stadt im Süden Ägyptens. Draußen tragen die Frauen Kopftücher und lange Gewänder. Ihre Blicke haben sie von den Männern abgewandt: »Jahrzehntelang hat in diesem Land Ordnung geherrscht. Es gab klare Regeln, an die sich alle gehalten haben«, erzählt Ismail. Er ist Imam: »Und jetzt schauen sie sich um: Es herrscht Chaos. Zuerst haben diese Jugendlichen mit ihren ständigen Demonstrationen für öffentliche Unruhe gesorgt. Und jetzt kommen diese sogenannten Frauenrechtlerinnen und sorgen zu Hause für Aufruhr.«
Für die neuen Gesetze, mit denen die Regierung in Kairo gegen Vergewaltigungen und sogenannte Ehrenmorde vorgehen will, hat er nichts übrig: »Es gibt eine althergebrachte Ordnung, die sich bewährt hat. Wir haben es seit Jahrhunderten geschafft, unsere Probleme selbst zu regeln.« Als die Polizei vor einigen Tagen einen Mann festgenommen hatte, dem eine Vergewaltigung vorgeworfen wird, marschierte vor der Polizeistation ein wütender Mob auf. Doch anders als früher ließen die Beamten den Beschuldigten nicht gehen und überstellten ihn stattdessen nach Kairo.
Wie in anderen Ländern beruhen Unterdrückung und die Ungleichbehandlung von Frauen in der Gesellschaft auf einer Mischung aus islamischer Rechtsauslegung, die in jahrhundertealte Traditionen eingeflossen ist, und aus dem Koran, der mit dem gelebten Islam wenig zu tun hat. Auf der gesetzgeberischen Ebene ist es indes so, dass die Länder zum Zeitpunkt ihrer Unabhängigkeit oft europäische Gesetzbücher übernommen haben, die in weiten Teilen auf dem Stand des frühen 20. Jahrhunderts waren. In Jordanien, Irak und in den Ländern Nordafrikas hat man gerade erst begonnen, diese Gesetzbücher grundlegend zu überarbeiten - nicht nur wegen der Frauenrechte. Zu viele Gesetze entsprechen nicht mehr den Herausforderungen der heutigen Zeit.
»Nur den Inhalt der Köpfe kann man nicht so leicht ändern«, betont Mohieddin in Kairo: »Die Dinge auf dem Land zu ändern, ist ein langer Weg, der nicht nur Gesetzesänderungen, sondern auch Sozialarbeit, bessere Polizeiarbeit und Bildung erfordert. Und in den Städten müssen wir bei den Männern das Bewusstsein für Gleichberechtigung schaffen.«
Daran mangele es oft auch bei weltoffenen Männern, sagt Magdy Abdel Sahar. Er ist Eheberater und damit ein Novum in der arabischen Welt. Erst seit wenigen Jahren sind Leute wie er in der Region zu finden. »Natürlich ist es eine bestimmte Gesellschaftsschicht, die unsere Hilfe sucht. Die Männer haben vom frühen Kindesalter an im ›Hotel Mama‹ gelebt und den All-inclusive-Service verinnerlicht. Die Frauen aber wollen arbeiten und nicht dem Mann hinterherräumen. Und sie sprechen aus, wenn ihnen etwas nicht passt. Das ist für viele Männer eine völlig neue Erfahrung.« Auch für ihn selbst sei die Beschäftigung mit dem Thema überraschend gewesen: »Mir war gar nicht bewusst, was Frauen in den arabischen Ländern alles nicht dürfen. Ich bin in England aufgewachsen. Wenn ich von der Lage in Saudi-Arabien gehört habe, dachte ich bislang immer: Gut, dass ich aus Ägypten komme.«
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