Zurück ins Jetzt geholt

Das Brücke-Museum zeigt eine Rekonstruktion von Karl Schmidt-Rottluffs Eröffnungsausstellung vor 50 Jahren

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor 50 Jahren wurde das Brücke-Museum, ein Flachbau in der Tradition des Bauhauses, am Rande des Grunewalds eröffnet. Damit erhielt die Stiftung Schmidt-Rottluff einen eigenen Museumsbau, der dem Zusammenwirken des Museumsmannes Leopold Reidemeister, des Architekten Werner Düttmann und vor allem natürlich des Brücke-Künstlers und Sammlers Karl Schmidt-Rottluff zu verdanken ist. Aber auch der Brücke-Gefährte Erich Heckel schenkte eine große Sammlung eigener Werke und der anderer Brücke-Künstler. Das Brücke-Museum hat sich in den folgenden fünf Jahrzehnten durch die systematische Ergänzung und Komplettierung seines Brücke- und Expressionisten-Bestandes, durch die Vielzahl bedeutender Ausstellungen, die durch die ganze Welt gingen, auch durch die geleisteten Forschungsarbeiten hohes nationales und internationales Ansehen als Expressionismus-Museum erworben.

Gegenwärtig wird eine Rekonstruktion der kunsthistorisch bedeutsamen Eröffnungsausstellung des Brücke-Museums von 1967/68 präsentiert. Insgesamt 39 Gemälde, 72 Grafiken und Zeichnungen, sieben Skulpturen, aber auch Postkarten und Jahresmappen werden gezeigt. Dazu kommen Dokumente, historische Fotografien und Installationsansichten der Ersthängung. Die fehlenden, nicht mehr zu ortenden Arbeiten dieser Gründungsveranstaltung werden durch Markierungen angedeutet. Das ganze Ambiente der Inneneinrichtung ist - soweit das möglich war - in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt worden.

»Die Bilder triumphieren, der architektonische Rahmen hält sich zurück. Die Ausblicke in die unverfälschte Grunewaldlandschaft sind wie eine natürliche Ergänzung des künstlerischen Erlebnisses«, hatte Reidemeister, der Gründungsdirektor des Brücke-Museums, 1974 geschrieben. Dieser Eindruck ist so geblieben, doch der Radius der damals ausgestellten Arbeiten, weitgehend auf Schmidt-Rottluff und Heckel konzentriert, während die anderen Brücke-Künstler nur sporadisch vertreten sind, steht in keinem Verhältnis zu dem heutigen opulenten Bestand des Museums. Wenn man an die glanzvolle vorjährige Jubiläumsausstellung zurückdenkt, die auf den ganzen Fundus des inzwischen erreichten Expressionismus-Bestandes zurückgreifen konnte, nimmt sich die nunmehr rekonstruierte Gründungsausstellung doch ungleich bescheidener aus.

Doch schon in diesem Grundbestand haben wir es mit Meisterwerken der Brücke-Künstler zu tun. Zwischen Abbild und Zeichen erscheinen die Werke als Sinnbilder der modernen Lebenswirklichkeit. Die Bilder aus der ersten Schenkung Schmidt-Rottluffs aus dem Jahre 1964 machen den Anfang, so »Deichdurchbruch« von 1910, das »Bildnis Rosa Schapire« von 1911 oder auch das »Mädchen bei der Toilette« von 1912. Am dichtesten der Kanon der Werke aus den Jahren des Bestehens der Gruppe von 1905 bis 1913. Über die späten Dresdner und frühen Berliner Jahre reichen die Arbeiten bis zu einem Ausblick auf das individuelle Spätwerk der einzelnen Künstler.

Nicht das Vollendete und Bleibende, sondern der intensivste Ausdruck des Augenblicks war den Brücke-Künstlern das Entscheidende. In der Zeit ihres engen Zusammenhalts von 1909 bis 1912 wurden Themen des weiblichen Aktes, der Landschaft, der Varietés und Großstadtlokale wichtig. 1910 und 1911 waren die Gemälde der »Brücke« häufig fauvistisch in der Farbe und dekorativ in der Form, die Grafiken dagegen viel ursprünglicher und ungestümer. In Berlin erreichten die Brücke-Künstler dann den Höhepunkt ihres eigenen expressiven Ausdrucks.

Mit fast 60 Arbeiten ist Schmidt-Rottluff vertreten, ihm folgt Heckel mit mehr als 40 Arbeiten. Im Unterschied aber zu Kirchner und Heckel fand das Thema der Großstadt mit seinen Existenzproblemen kaum Eingang in das Werk Schmidt-Rottluffs. Seit Mitte der 1920er Jahre entfernten sich dann auch die Menschen aus seinen Arbeiten. Wie in seiner Malerei und seinen Aquarellen faszinierte den Künstler ebenso in seiner Druckgrafik die elementar erfahrene Natur, sie war für ihn Herausforderung und Refugium zugleich. In rigoroser Selbstbeschränkung schnitt er Landschaften als Gegenbilder zur hektischen Großstadt und der von Konflikten und Kriegen zerrissenen Zeit ins Holz. 1930 traten auch Stillleben hinzu, und während der Hitlerzeit, als »entartet« verfemt und mit Malverbot belegt, hat er die innere Emigration in Darstellungen des in sich ruhenden Daseins symbolhaft gestaltet.

Einen Höhepunkt bilden dann die ungewöhnlichen Holzschnitte der Jahre 1912 bis 1914 und 1918/19, sie zählen zu den Inkunabeln expressionistischer Kunst. Im Holzschnitt mit seinen ausgeprägten Schwarz-Weiß-Kontrasten, mit der scharfen Abgrenzung und flächenhaften Wirkung hat Schmidt-Rottluff eine stabilisierende Kraft, auch ein formklärendes Ausdrucksmittel erkannt. Denn der Widerstand des Materials zwingt zu extremer Reduktion.

Während Kirchner und Heckel 1921 den expressionistischen Stil aufgaben, erreicht er bei Schmidt-Rottluff in Jershöft, einem Fischerdorf an der Pommerschen Ostseeküste, einen neuen Höhepunkt. Seit 1924 zeigen die malerischen Tessin-Blätter nicht die touristisch bevorzugten Ansichten des Lago Maggiore, sondern verschachtelte Architekturen enger Gassen und Häuser in Farben, die nicht mehr strömen, sondern aus einem mosaikartig gefügten Grunde herausleuchten. So leuchtend und atmosphärisch werden nun auch die Küstenlandschaften des Nordens, doch eine schwarze Kontur bindet alles, auch den Mond, an die Erde. In den 1950er Jahren wendet er sich neben dem Aquarell auch wieder der Lithografie zu. Abgeschiedene und feierliche Landschaften, zudem Blumen, Früchte, Plastiken sind jetzt seine bevorzugten Motive.

Im Garten des Museums hat Sol Calero (Venezuela) ihre Casa Isadora errichtet, einen Pavillon, der sich auf das von Kirchner und Pechstein 1911 gegründete MUIM-Institut (Moderner Unterricht in Malerei) bezieht und in dem während der Ausstellungszeit ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm stattfindet.

Ist die jetzige Ausstellung mehr als Interimsausstellung zu betrachten, mit der sich die neue Museumsdirektorin Lisa Marei Schmidt vorstellt, so darf man gespannt sein auf die für den September geplante Schau, die das Jahr 1913 und die Auflösung der Brücke-Gemeinschaft zum Thema haben wird.

Ein Künstlermuseum für Berlin: bis 12. August, Brücke-Museum, Bussardsteig 9, Dahlem, dienstags geschlossen.

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