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Wenn der gelbe Schein nicht reicht

Sächsische Studenten kritisieren Regelungen zum Rücktritt von Prüfungen bei Krankheit

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Die letzte Vorlesungswoche läuft; in der nächsten Woche beginnen an den sächsischen Universitäten und Hochschulen die Prüfungen. Nicht ausgeschlossen, dass mancher Student sich auch mit Fieber zur Klausur schleppt, für die er lange gepaukt hat - das Ergebnis aber so mies ausfällt, dass er es doch annullieren lassen möchte. So etwas kann beim Prüfungsausschuss beantragt werden, dem dafür jedoch ein Krankenschein unter Umständen nicht ausreicht. In einigen Fällen wird ein detailliertes Attest vom Arzt gefordert. Das sorgt zunehmend für Kritik. Die Studenten müssten sich quasi »nackt machen und intimste Gesundheitsdaten preisgeben«, sagt der LINKE-Landtagsabgeordnete René Jalaß: »Das muss aufhören.«

Hintergrund für die Regelung ist, dass Ärzte zwar einem Arbeitnehmer bescheinigen dürfen, dass er aus medizinischer Sicht arbeitsunfähig ist. Ob eine Prüfung annulliert oder trotz verbindlicher Anmeldung versäumt werden darf, sei aber eine juristische Frage, sagt Eva-Maria Stange (SPD), Hochschulministerin im Freistaat: »Das ist nicht Kompetenz des Arztes.« Der Mediziner gelte aus Sicht der Hochschule als »fachfremde Person«. Nur die Prüfer könnten entscheiden, ob die einem Prüfling attestieren Beeinträchtigungen für die konkrete Prüfung von Nachteil seien.

Jalaß sieht darin einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dies umso mehr, als Studenten bei einer Weigerung fatale Konsequenzen drohen. In einem Attestformular der Psychologischen Fakultät der TU Dresden wird zwar angemerkt, der Student könne die Vorlage des Attestes verweigern. Dann läge aber kein »triftiger Grund« für die Annullierung einer Prüfung vor, die deshalb mit »nicht ausreichend« bewertet werde. Jalaß sieht damit den Straftatbestand der Nötigung erfüllt und hat Anzeige erstattet - wie auch wegen der »Anstiftung zum Geheimnisverrat«. Grund dafür ist, dass Studenten in den Vordrucken auch bestätigen müssen, dass sie ihren Arzt für die Erstellung des Attests von seiner Schweigepflicht entbinden. Mehr als eine Eingangsbestätigung habe er auf seine Anzeigen bisher nicht erhalten, sagte Jalaß auf Nachfrage.

Das Ministerium sieht sich rechtlich auf der sicheren Seite. Ähnliche Regelungen in anderen Bundesländern seien vom Bundesverwaltungsgericht wiederholt bestätigt worden, sagt die Ministerin. Zudem habe es in Sachsen in den zehn Jahren, seit das Hochschulgesetz den einzelnen Studieneinrichtungen die Anforderung von Attesten erlaube, »keine einzige Beschwerde« gegeben, sagt Stange. Es sei eine »Praxis, die nicht unbedingt auf Widerspruch trifft«. Das indes scheint sich gerade zu ändern. Die Konferenz sächsischer Studierendenschaften (KSS) fasste im Mai einen Beschluss, wonach der »gelbe Schein reichen« müsse. Auch die der LINKEN nahestehende Studentenvereinigung SDS mobilisiert unter dem Slogan »Dr. med. Prüfungsausschuss - nein danke!« gegen die Regelung.

Stange hält die Aufregung angesichts der Dimensionen für übertrieben. Zahlen des Ministeriums zufolge meldeten sich zum Beispiel an der TU Dresden zuletzt 3400 Studenten von Prüfungen ab; bei 66 verlangte der Prüfungsausschuss einen Krankenschein, bei lediglich sechs ein ausführlicheres Attest. An der Hochschule für Musik gab es bei 39 Rücktritten von Prüfungen einen solchen Fall. Stange betont, der »Aufwand« werde nur betrieben, wenn es berechtigte Zweifel an der Krankmeldung gebe - etwa, weil diese mehrfach erfolgt sei.

Jalaß kritisiert dagegen einen »Generalverdacht«, dass Studenten sich »Gefälligkeitsgutachten« von Ärzten holten, wenn Examen nicht zu ihrer Zufriedenheit ausfallen. Er merkt auch an, dass die Daten in anderen Ländern besser geschützt seien; dort reiche ein Besuch bei einem Amts- oder Vertrauensarzt. Die KSS lobt Länder wie Nordrhein-Westfalen und Thüringen, weil dort das »Prinzip der Nachweispflicht umgekehrt« worden sei. Sie kündigt zudem an, das Thema im Landtagswahlkampf 2019 auf die Tagesordnung zu setzen.

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