Nicht skandalös, sondern schäbig

Elias Perabo ist entsetzt über die Infragestellung des Schutzes für syrische Weißhelme-Mitarbeiter in Deutschland

  • Elias Perabo
  • Lesedauer: 4 Min.

Helfer als Kriminelle stigmatisieren? Eigentlich kennt man das vor allem von der AfD, wenn es darum geht, Seenotrettung durch Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer zu stigmatisieren. Doch nun stimmt ausgerechnet die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Heike Hänsel, in diesen Chor ein: »Skandalös« findet Hänsel, dass die Bundesregierung acht (!) verfolgten syrischen Zivilschützern der Weißhelme und ihren Familien Asyl gewährt. Sie empört sich nicht darüber, dass Deutschland als baldiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat nicht einmal zwei Prozent der 422 Geretteten Schutz gewährt - sondern dass die Bundesregierung überhaupt Weißhelme aufnehmen will.

Für ihren jahrelangen Einsatz unter Bombenhagel, die Rettung unzähliger Opfer aus Trümmern, wurde der Organisation der Alternative Nobelpreis verliehen. Der Film über die Geschichte der Weißhelme in Aleppo erhielt einen Oscar. Viele Helfer verloren im Einsatz ihr Leben. Russland, insbesondere aber dem Assad-Regime, sind die Zivilschützer ein Dorn im Auge: Ihre Berichte machen die Grausamkeit des Krieges in Syrien sichtbar. Sie belegen immer wieder, dass Luftangriffe auch zivilen Zielen gelten und Kriegsverbrechen verübt werden. Deswegen versuchen beide Regierungen, die Retter mit einer großangelegten Kampagne zu diskreditieren.

Elias Perabo
Elias Perabo ist Mitgründer der Initiative Adopt a Revolution, die sich für den friedlichen Aufstand der SyrerInnen einsetzt.

Auch Heike Hänsel greift viele dieser Diffamierungen auf. Weil die Weißhelme für ihre Arbeit Unterstützung aus dem Westen bekommen - was sie selbst auf ihrer Internetseite offenlegen - wird behauptet, dass sie Propaganda für den Westen betreiben würden. Dass die Weißhelme auch die Folgen westlicher Luftangriffe dokumentieren, wie etwa die US-Attacke auf Al-Dschinnah im März 2017, verschweigt Hänsel. Auch hier waren es die Bilder der Organisation, die das Leid sichtbar machten und Menschenrechtlern Beweismaterial lieferten. Dass die Retter überhaupt dokumentieren, scheint Hänsel zu stören - süffisant macht sie sich darüber lustig, die Weißhelme seien die einzigen humanitären Helfer mit Kameras. Dabei greift sie selbst immer wieder auf Videos von Seenotrettern zurück, die - wie die Weißhelme und viele andere Nichtregierungsorganisationen - ihre Arbeit dokumentieren. So entsteht der Eindruck, dass es Hänsel nicht so sehr darum geht, ob Retter Leid filmen dürfen, sondern darum, welches Leid sie filmen.

Kernstück der Diffamierungskampagne ist allerdings der Versuch, die Weißhelme in die Nähe von Al-Qaida zu rücken. Immer wieder wird behauptet, die Retter seien nur in von den Islamisten kontrolliertem Gebieten aktiv. Das funktioniert nur, wenn man der syrischen Staatslinie blindlings folgt, die besagt, dass alle Oppositionellen in Syrien Dschihadisten seien. Tatsächlich arbeiten die Weißhelme auch in Orten wie Duma, das von einer mit Al-Qaida verfeindeten Miliz kontrolliert wurde. Genauso sind sie an Orten tätig, in denen Al-Qaida nie aktiv war, oder in Städten wie Atareb, die seit Jahren Widerstand gegen Extremisten leisten. Dass die Weißhelme gar selbst Opfer des Terrors wurden, wie bei dem Anschlag auf eines ihrer Zentren vor einem Jahr, bleibt dagegen unerwähnt.

Richtig ist, dass es auch unter den rund 3000 Weißhelme-Zivilhelfern in der Vergangenheit schwarze Schafe gab. Ein paar von ihnen haben nach Exekutionen Leichen weggeräumt - sie wurden suspendiert. Andere waren einmal Kämpfer. Mitunter müssen humanitäre Helfer in Kriegsgebieten auch eine gewisse Nähe zu fragwürdigen Gruppierungen zulassen, weil sie sonst ihre Operationen einstellen müssten. Gerade eine lokal verwurzelte Organisation stellt da keine Ausnahme dar. Die Weißhelme verdienen es, nicht auf die kriminellen Akte Einzelner reduziert, sondern als gesamte Organisation betrachtet zu werden. Schließlich würde auch niemand auf die Idee kommen, wegen Straftaten von UN-Blauhelmsoldaten die ganze UNO als Kinderprostitutionsring zu bezeichnen.

In Syrien selbst werden Mitglieder der Weißhelme weiter politisch durch das Assad-Regime verfolgt. Diesen Verfolgten möchte Heike Hänsel nun den Schutz verwehren, indem sie die Helfer in die Nähe von Dschihadisten rückt. Genauso wie AfD und CSU versuchen, Seenotretter als Schlepperhelfer zu diskreditieren, versucht Hänsel, die Retter zu diffamieren - und Menschen, die verfolgt werden, obwohl sie anderen Menschen helfen, das Recht auf Asyl abzusprechen. Dieses Verhalten lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: schäbig!

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