Hohe Preise fördern kriminelles Handeln

Die BUKO Pharma-Kampagne weist auf den Unterschied zwischen Fälschungen und Substandard-Produkten hin - und auf die Folgen für Patienten

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Sollte angesichts der jetzt beklagten unübersichtlichen Handelsbeziehungen schon bei der Struktur des Pharmahandels in Deutschland eingegriffen werden?

Eigentlich haben wir mit dem Großhandel ein gutes System. Das Problem sind die mangelnden Kontrollen. Warum wurde im Fall mit den Krebsmedikamenten in Brandenburg auf die Warnungen aus Griechenland nicht konsequent reagiert? Hier gibt es ein eindeutiges Behördenversagen.

Christian Wagner-Ahlfs

Die aktuellen Probleme mit der Medikamentenversorgung in Deutschland reichen von Lieferengpässen bis zum Einschleusen gefälschter, verunreinigter oder gestohlener Waren. Mit Christian Wagner-Ahlfs von der BUKO Pharma-Kampagne sprach Ulrike Henning über Ursachen für die Missstände im Arzneimittelimport und mögliche Gegenmaßnahmen.

Sehen Sie über die fehlende Kontrolle hinaus Ursachen für diesen und ähnliche frühere Fälle?

Es sollte jetzt wahrscheinlich nicht die ganze Aufsicht kurzfristig personell geändert werden. Die Frage ist eher, warum sich die Mitarbeiter in der Brandenburger Behörde nicht getraut haben, zu kontrollieren und einzugreifen. Möglicherweise fürchteten sie Schadensersatzforderungen. Aber das ändert nichts daran: Die Aufgabe einer Aufsichtsbehörde ist die Kontrolle.

Welche Maßnahmen halten Sie angesichts der Medikamente aus dubiosen Quellen und auch angesichts nicht sicherer oder verunreinigter Arzneimittel für notwendig?

Stärkere Kontrollen sind auf alle Fälle wichtig. Ich möchte aber einen Schritt weiter gehen und fragen: Warum kam es überhaupt zu diesen Ereignissen? Hauptursache sind aus unserer Sicht die teuren Medikamente. Damit lässt sich viel Geld verdienen, kriminelles Handeln wird durch hohe Preise gefördert. Neuere onkologische Therapien kosten meist um die 100 000 Euro pro Jahr. Man muss die hohen Preise beseitigen, denn die Gewinnmargen sind teils höher als im Drogenhandel. Insofern ist es kein Wunder, dass Medikamentenfälschung und illegaler Handel mit Arzneien schon ein Geschäftsmodell der organisierten Kriminalität sind.

Wie lässt sich mit Produktionsänderungen und -ausfällen umgehen, die oft auch Ursache für Lieferengpässe in hiesigen Apotheken sind?

Im Prinzip geht es um eine frühe Qualitätssicherung. Aber ein Großteil der Wirkstoffproduktion findet global statt, 80 Prozent werden in Indien und China hergestelllt. Zudem gibt es eine starke Konzentration auf wenige Anbieter. Das führt dazu, dass bei uns auf den Medikamentenpackungen verschiedene Hersteller und auch Handelsnamen stehen, die Wirkstoffe aber häufig aus ein- und derselben Fertigung kommen. Eigentlich muss man vermeiden, dass weitere Produktionsstätten aus Deutschland und der EU heraus verlagert werden. Außerdem müssten in den Haupterzeugerländern die Kontrollen verstärkt werden. Dort werden Standards oft nicht eingehalten, um so günstig wie möglich zu produzieren. Dann sinkt die Qualität. Dafür müssen auch hiesige Hersteller in die Pflicht genommen werden, die in Asien produzieren lassen oder von dort Wirkstoffe beziehen. Und wir brauchen eine größere Anzahl an Produzenten, auch in Deutschland.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die EU-Fälschungsrichtlinie, die bis auf drei Ausnahmeländer, darunter Griechenland, ab Anfang nächsten Jahres umgesetzt werden muss?

Sie enthält wichtige Maßnahmen, die eine bestimmte Packungskennzeichnung erfordern, nämlich dazu, wo das Medikament hergestellt wurde, welche Lieferschritte es gab; dies über einen Barcode maschinenlesbar. Das ist vernünftig und ermöglicht mehr Transparenz. Jedoch sollte man mit dem Begriff »Fälschung« sehr bewusst umgehen. Fälschung ist ein eindeutiger Begriff aus dem Urheberrecht, also wenn zwar Bayer draufsteht, das Mittel aber eine ganz andere Herkunft hat. Schutz vor Fälschungen ist also primär ein wirtschaftliches Interesse der Besitzer von Markenrechten. In der politischen Diskussion wird deshalb gerne alles Mögliche als Fälschung bezeichnet, auch korrekt produzierte Generika. Pharmaunternehmen bezeichnen auch gerne mal Medikamente als Fälschung, die von bestimmten Staaten in Notsituationen unter einer Zwangslizenz hergestellt werden, um sie Patienten preiswerter zugänglich zu machen. Aus Sicht der Patienten ist aber etwas ganz anderes wichtig: Sie brauchen Medikamente, die den gesetzlichen Standards entsprechen. Gefährlich sind die so genannten Substandard-Produkte mit Verunreinigungen, zu wenig oder gar keinem Wirkstoff. Fälschungen gefährden vor allem die Gewinne der Markeninhaber, Substandard-Produkte gefährden die Patienten.

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