Drei Bier trinkende Schmiede

Als die Bilder laufen lernten: Ottomar Anschütz und die Gebrüder Skladanowsky schenkten Berlin großes Kino

  • Olaf Neumann
  • Lesedauer: 5 Min.

Freiluftkinos erfreuen sich in diesem langen Sommer großer Beliebtheit, vor allem bei der Jugend. Anlass, um einmal in die Geschichte zurückzublicken - in jene Zeit, als die Bilder laufen lernten.

Die Anfänge des Kinos waren eine gute Zeit für findige Unternehmer. Nachdem sogenannte Stereoskope mit optischen Tricks und dreidimensionalen Illusionen Mitte des 19. Jahrhunderts die Schaubuden der Jahrmärkte erobert hatten, darunter auch in der preußischen Hauptstadt, revolutionierten erstaunliche Apparate wie das »Elektrotachyscop« und das »Kinetoskop« die Projektionstechnik und machten das Vorführen bewegter Bilder möglich. Sie wurden, wie so viele bahnbrechende Neuerungen in Deutschland und den USA, nahezu gleichzeitig entwickelt.

Mit einem Elektrotachyscop konnte der Berliner Fototechniker Ottomar Anschütz bereits 1887 bewegte Bilder erzeugen. Dieser mechanische Apparat bestand aus einer 1,50 Meter breiten stroboskopischen Scheibe und 24 gläsernen Fotoplatten. Beleuchtete man diese Scheibe von hinten mit einer elektrischen Entladungsröhre (Geißlerische Röhre) und ließ sie per Handkurbel mit 30 Bildern pro Sekunde rotieren, entstand aufgrund der Netzhautträgheit des Auges der frappierende Eindruck von kontinuierlich bewegten Bildern.

Vor 125 Jahren, auf der Weltausstellung von 1893 in Chicago, präsentierte dann der US-amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison den Ausstellern aus 46 Ländern und ihren Besuchern eine geradezu magische Erfindung, die eine Weiterentwicklung von Anschütz’ »Schnellseher« war. In Edisons Laboratorien hatte der Schotte William Kennedy Laurie Dickson 1888 damit begonnen, sowohl den Kinematografen als auch das Kinetoskop zu entwickeln.

Das Kinetoskop war ein Guckkasten, der äußerlich an einen Kleiderschrank erinnerte. In dieser Kiste mussten die Zuschauer noch einzeln Platz nehmen, um sich die »lebenden Fotografien« anzusehen. Im Inneren der Kiste wurden entwickelte und perforierte Filmstreifen durch eine Glühbirne beleuchtet. Rollfilm aus Zelluloid war damals brandneu. Um die Funktionsweise seiner zylindrischen Kamera zu testen, drehte Dickson 1890 die jeweils nur wenige Sekunden dauernden Filme »Monkeyshines« Nr. 1, 2 und 3. Sie zeigten einen verschwommenen Mann und gelten heute als die ersten Filme, die in den USA gedreht wurden. Im Auftrag der Edison Manufacturing Company leitete Dickson anschließend den Bau des ersten Filmstudios der Welt. »Black Maria« wurde 1893 in West Orange/New Jersey eröffnet und stellte noch im selben Jahr den ersten jemals kommerziell verwerteten Streifen her. »Blacksmith Scene« zeigte drei Bier trinkende Schmiede bei der Arbeit. Der Film wurde zunächst in Salons mit Kinematografen und später auch auf Leinwand gezeigt und zählt zu den frühesten Aufnahmen in der Geschichte des Films. 1895 endete jedoch die Zusammenarbeit zwischen Edison und Dickson im Streit.

Im gleichen Jahr fand in Paris die erste Vorführung eines Films statt, der mit einem neuartigen Cinématographen aufgenommen und auch damit abgespielt wurde. Hier waren es die bereits in der Weiterentwicklung der Fotografie so erfolgreichen Brüder Auguste Marie und Louis Jean Lumière, die als erste Europäer im Kinogeschäft reüssierten. Zahlreiche zahlende Gäste fanden sich am 28. Dezember 1895 in einem Café am Pariser Boulevard des Capucines ein, um Kurzfilme wie »Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof von La Ciotat« oder »Abbruch einer Mauer« zu bestaunen. Es handelte sich dabei um stumme Szenen aus dem Alltag - in Schwarz-Weiß und mit lediglich 15 bis 20 Bildern in der Sekunde.

Auf einer ausgedehnten Werbetour priesen die findigen Brüder ihre Erfindung in ganz Europa an - mit Erfolg. Zahlreiche Betreiber von Gasthäusern, Hotels und Varietés witterten den kommerziellen Erfolg, der in den neuen Apparaten steckte, und kauften ihnen Kinematografen für Vorstellungen in ihren eigenen Etablissements ab. Auf diese Weise gelangte das neue Unterhaltungsmedium Kino auch nach Deutschland. Schon am 1. November 1895 wurde das Varieté-Theater »Wintergarten« in Berlin-Mitte durch eine Filmvorführung der geschäftstüchtigen Brüder Max und Emil Skladanowsky zum weltweit ersten kommerziellen Filmtheater. Auch die Skladanowskys hatten an einem Filmapparat getüftelt und im Juli 1895 im Pankower »Feldschlösschen« erstmals kurze Szenen gezeigt, die sie im Garten des Lokals aufgenommen hatten. Ihre Geräte wurden zwar ebenfalls für Vorführungen in Schaubuden und Panoptiken eingekauft; jedoch blieb der Verkaufserfolg insgesamt hinter dem ihrer französischen Konkurrenten zurück. Immerhin bekam Max Skladanowsky vom Kaiserlichen Patentamt das Patent für eine »Vorrichtung zum intermittierenden Vorwärtsbewegen des Bildbandes für photographische Serien« zugesprochen.

Mit dem Optiker und Mechaniker Oskar Eduard Messter hat Deutschland sogar noch einen weiteren Pionier auf dem Gebiet des Kinos vorzuweisen. 1896 brachte er die ersten Filmprojektoren zur Marktreife und eröffnete in Berlin-Mitte gleich zwei »Kunstlichtateliers«. Indem er Projektor und Grammophon zum »Biophon« verband, gelangen ihm 1903 die ersten »Tonbilder«. Messter avancierte mit über 300 produzierten Streifen zu einem der einflussreichsten Impresarios des deutschen Films.

Nicht nur in Berlin und anderen Großstädten Deutschlands wurden um 1900 zahlreiche Theater und Varietés dauerhaft zu Kinosälen umgestaltet. Auf dem flachen Land machten Wanderkinos die Bewohner mit dem Film vertraut, indem sie ihre Apparate für einige Tage in den Hinterzimmern von Gasthöfen aufbauten. Auch die Besitzer von Schaubuden und Panoptiken gingen mit der Zeit und ersetzten die üblichen Kuriositäten bald durch finanziell ertragreichere Filmvorführungen. Deren Beliebtheit erreichte mit dem Sieg des Tonfilms über den Stummfilm Ende der 20er Jahre einen Höhepunkt. Bis das sogenannte Lichttonverfahren erfunden wurde - die gleichzeitige Speicherung von Bild- und Tonspur auf dem Magnetstreifen -, lief während der Vorführung eine Schallplatte ab, die die entsprechenden Sprach- und Musikpassagen des Films enthielt. Heute werden in den Kinos in der Regel neueste Tonverfahren wie Dolby Digital verwendet.

Nach vielen Jahrzehnten der Euphorie ist das Fernsehen mit Riesenbildschirm und optimaler Tonqualität der größte Konkurrent des Kinos. Als es in den 60er Jahren die Wohnzimmer endgültig eroberte, gingen die Zuschauerzahlen in den Kinos stetig zurück. Alteingesessene und traditionsreiche Lichtspieltheater mussten sich verkleinern oder ganz schließen. Heute ist der Markt aufgeteilt: Gewaltige Multiplex-Kinos haben mit Blockbustern und neuer 3D- und DTS-Technologie vor allem den kommerziellen Erfolg im Auge, während kleine, alternative Programmkinos ein Nischenpublikum mit künstlerischen Filmen bedienen. Sie sind es vor allem, die die Erinnerung an die Pionierzeiten des Kinos wachhalten.

Übrigens: Noch bis einschließlich September ist Freiluftkinosaison in Berlin. Open-Air-Kinos finden sich in fast allen Stadtbezirken. Man muss sich nur umschauen. Auch das Bürohaus am Franz-Mehring-Platz 1, Sitz der Redaktion dieser Zeitung, hat ein Hofkino, das sozialkritische und schlicht unterhaltsame Filme aus aller Welt und der DDR zeigt.

Programm unter www.hofkino.berlin

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