Revolutionäres Leitbild

SPD-Fraktionschef Raed Saleh will in der Wohnungspolitik alles auf den Kopf stellen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Der SPD-Fraktionschef gibt sich geläutert. »Keiner der Koalitionspartner hat einen Vorteil, wenn er immer mit dem Finger auf den anderen zeigt«, sagt Raed Saleh. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da fiel die von Saleh geführte SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus vor allem damit auf, dass sie etwa Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) für ihre Baupolitik kritisierte. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr. Im Gegenteil: Fragen in diese Richtung weist der mächtige SPD-Politiker brüsk zurück. Stattdessen sagt er: »Wir müssen dafür sorgen, dass das Thema Wohnungsnot gemeinsam bis zum Ende der Legislatur gelöst wird.«

Probleme lösen, politische Vorhaben umsetzen - damit glänzte Rot-Rot-Grün zuletzt nicht besonders. Dabei war das Zustandekommen des Mitte-links-Bündnisses vor zwei Jahren mit hohen Erwartungen verknüpft gewesen. Der umtriebige SPD-Fraktionschef hat die Sommerpause nicht nur genutzt, um mit seiner Familie den Nahen Osten zu bereisen, er hat auch darüber nachgedacht, wie er Rot-Rot-Grün neuen Schwung verleihen kann. »Nur Rot-Rot-Grün kann es leisten, eine neue Einheit aller hier lebenden Menschen zu erreichen«, sagt Saleh mit Blick auf Ost und West, Arme und Reiche und Migranten. »Wenn Rot-Rot-Grün für etwas steht, dann steht es dafür, dass man Brücken baut und Mauern einreißt, dass man ein menschlicheres Berlin schafft«, sagt Saleh. Und: »Wenn es ein Leitbild gibt für uns, dann ist es dieses menschliche Berlin.«

Ein Leitbild, eine große Überschrift, danach sucht die rot-rot-grüne Koalition seit Längerem. Am Anfang war von der »solidarischen Stadt« die Rede, der funktionierenden Stadt, aber so richtig eingebrannt hat sich das nicht. Jetzt also das »menschlichere Berlin«. Was die Suche nach einer gemeinsamen Überschrift auch zeigt: So richtig rund läuft es in dem Mitte-links-Bündnis nicht. Dass ein fehlender Leitgedanke auch mit der mangelnden Repräsentanz durch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) an der Spitze zu tun hat, streitet der Vorsitzende der SPD-Fraktion ab: »Michael Müller sagt in den Senatssitzungen ganz deutlich, welche Erwartungen er von seinen Senatorinnen und Senatoren hat - er erwartet Schwerpunkte«, sagt Saleh, der bekanntlich ein innerparteilicher Gegner des Regierenden Bürgermeisters und SPD-Landesvorsitzenden ist.

Dass es große Probleme wie die immer schneller steigenden Mieten in der Stadt gibt, bestreitet der SPD-Fraktionschef nicht. Schließlich kennt der Spandauer das Klagen der Bürger zur Genüge aus seinen Bürgersprechstunden. Um die soziale Frage der Mieten zu lösen, gibt sich Saleh neuerdings wortgewaltig. Stichwort: »wohnungspolitische Revolution«, die er jüngst in einem Interview mit der »Berliner Morgenpost« ausrief. Saleh selbst relativiert das: »An einer wohnungspolitischen Revolution ist nichts radikal, es geht darum, dass man sagt, es geht so nicht weiter.« Er habe, Verständnis dafür, dass es enger in der Stadt werde, wenn pro Jahr 40 000 Menschen in die Stadt kommen, aber kein Verständnis dafür, dass die Mieten in 1,7 Millionen Wohnungen plötzlich angehoben werden, wenn 40 000 Menschen in die Stadt kommen. Saleh sagt: »Wenn ich von einer Revolution rede, dann meine ich eine wohnungspolitische Revolution. Wir müssen alles auf den Kopf stellen: Ein Haus, das abgezahlt wurde, rechtfertigt nicht eine permanente Mieterhöhung, bei Modernisierung kann es nur Erhöhungen geben, bis Kosten wieder abgezahlt sind, bei Spekulation keine Steuererleichterungen.«

Um regulierend auf den Markt einzuwirken, pocht der SPD-Fraktionschef auf einen starken Staat. Dass Politiker der SPD noch vor kurzem eine zu starke Fokussierung der von der LINKEN geleiteten Stadtentwicklungsverwaltung auf mietendämpfende Maßnahmen kritisierten, ficht Saleh dagegen nicht an. Auch nicht, dass die anderen SPD-geführten Bundesländer sich bislang nicht durchringen konnten, eine soziale mietenpolitische Bundesratsinitiative mitzutragen, die Berlin vor einiger Zeit in den Bundesrat eingebracht hat. Unerwähnt bleibt auch, dass das Mietrecht auf Bundesebene entschieden wird. »Was man auf landespolitischer Ebene leisten kann, muss man leisten«, sagt der SPD-Politiker. Saleh zählt das Zweckentfremdungsverbot, den Milieuschutz, den Anteil bezahlbarer Wohnungen beim Neubau und die neue Liegenschaftspolitik auf, die die SPD mitinitiiert habe. Er fordert, dass Vorkaufsrecht zu stärken und auch auf Grundstücke anzuwenden. Außerdem will er Hedgefonds zwingen, eine Grunderwerbssteuer zu entrichten. Auch den Satz für die Spekulationssteuer will Saleh erhöhen.

Neue Töne gibt es vom Fraktionschef aber nicht nur zu Spekulanten und Wohnungseigentümern, sondern auch zu Lobbyisten. An die Vertreter der Immobilienwirtschaft richtet Saleh eine Kampfansage: »In diesem Berlin gilt nicht die Macht des Stärkeren, hier haben nicht die Lobbyisten das Sagen, sondern steht das Gemeinwohl im Vordergrund.« Ob das auch für Parteifreunde gilt, die in diesem Bereich bekanntlich schwer aktiv sind?

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