Regionalwahlen mit Opposition

In Moskau und Russlands Regionen machen die Kommunisten mehr Punkte als Nawalny

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Einfach klein beigeben mag Wadim Kumin bei der Wahl des Moskauer Bürgermeisters nicht. Knapp zwei Wochen vor der Abstimmung in der russischen Hauptstadt klagte der Kandidat der Kommunistischen Partei (KPRF) gegen den anscheinend übermächtigen und allgegenwärtigen Amtsinhaber Sergej Sobjanin. Der hatte sich zwar selbst aufgestellt, genießt aber nicht nur die Gunst der zentralen Obrigkeit und ihrer Partei »Geeintes Russland«, sondern auch die Möglichkeiten des eigenen Amtes und damit vor allem der elektronischen Medien. Mit dem Hinweis auf die Wiederherstellung der Gleichbehandlung der Kandidaten angesichts der »alten Durchtriebenheit« der Machtpartei forderte Genosse Kumin vor dem Moskauer Stadtgericht die Annullierung der Registrierung seines Hauptkonkurrenten wegen dessen Vorteilsnahme.

Das Vorhaben versprach eher keinen juristischen Erfolg, aber immerhin etwas Aufsehen. Auch die Mitbewerber Michail Balakin, Abgeordneter der Stadtduma für den »Bund der Städter«, der Liberaldemokrat und Dumaabgeordnete Michail Degtjarjow sowie der Chef der Verwaltung des Taganka-Stadtbezirkes Ilja Swiridow von »Gerechtes Russland« hoffen auf Stimmgewinne. Niemand von ihnen erreicht bisher ein Dutzend Prozentpunkte.

Für die technische Ausstattung und den Schmuck der Wahllokale mit Girlanden und Luftballons in den russischen Staatsfarben Weiß, Blau, Rot hat die Moskauer Stadtverwaltung nach einem Bericht der Zeitung »Wedomosti« gut 109 Millionen Rubel bereit gestellt. Vor Aufstellern sollen sich Wähler zur Erinnerung an die Stimmabgabe gegenseitig fotografieren können.

Seine bevorzugte Tätigkeit soll allerdings dem Oppositionellen Andrej Nawalny nach dem Willen der Stadtoberen am Wahltag verwehrt bleiben. Die von ihm in Moskau, aber auch in ganz Russland angestrebte Protestaktion gegen die Rentenreform der Regierung wurde nicht genehmigt. Die Stadtverwaltung machte geltend, dass am Wahltag jegliche Agitation untersagt sei und zudem der »Tag der Stadt« gefeiert werde. Vorsorglich wurde der wegen seiner provokanten Unbotmäßigkeit gefürchtete Politiker am 26. August für 30 Tage in Arrest gesteckt. Das Twersker Bezirksgericht in Moskau hatte ihn wegen der Organisation des nicht genehmigten Protestes im Januar 2018 für einen »Wählerstreik« zum Boykott der Präsidentenwahl dazu verurteilt. Mit der angestrebten Erhöhung des Renteneintrittsalters war ihm dann ein neues heißes Thema serviert worden.

Auch Präsident Wladimir Putin zeigt sich spätestens mit dem Anwachsen des allgemeinen Unwillens zunehmend skeptisch. In einer Fernsehansprache am Mittwoch verkündete er, dass Frauen doch nicht mit mit 63 Jahren in Rente gehen sollen, sondern mit 60 Jahren - statt derzeit 55. Auch bei den Männern wird die ursprüngliche Fassung der Reform eher nicht durchkommen. Das angestrebte Eintrittsalter von 65 Jahren werde von allzu vielen nicht erreicht, machen Kritiker geltend. Das Protestpotential wächst. In nur vier Monaten habe sich der Anteil jener Bürger auf inzwischen 40 Prozent verdoppelt, die Proteste gegen eine Verschlechterung des Lebensniveaus für wahrscheinlich halten, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Lewada. Ein Viertel der Befragten würden daran teilnehmen wollen.

Keine leichte Aufgabe für den angesichts äußerer Schwierigkeiten ganz besonders um Stabilität im Innern bemühten Hausherrn des Kreml. Doch noch ist Wladimir Putin eine Zugnummer, in seiner Beliebtheit bleibt er bislang weiterhin vor allen Parteien. So erscheint es nicht verwunderlich, dass der Machtpartei »Geeintes Russland« von der Administration des Kreml gestattet wurde, sich in für sie kritischen Gegenden als »Partei des Präsidenten« den Wählern anzupreisen. Das gilt laut dem Portal RBK in Gebieten wie Irkutsk, Uljanowsk oder Archangelsk. Nach Umfragen des Institutes WZIOM rutschte die Partei auf 37 Prozent und damit die niedrigste Zustimmung seit 2011.

Die führende Rolle im Widerstand gegen die Rentenreform, nach der Nawalny und seine Mannschaft streben, hat sich bislang die KP unter ihrem langjährigen Vorsitzenden Gennadi Sjuganow verdient. Die Kommunisten könnten bei den bevorstehenden Wahlen als erbitterter Oppositionsführer »innerhalb des Systems« davon profitieren.

Das gilt nicht für die Opposition insgesamt. Die »gesellschaftliche Unzufriedenheit« helfe diesen Parteien nicht, analysierte der Fonds »Liberale Mission« des früheren Wirtschaftsministers Jewgeni Jassin. Die Mehrheit der oppositionellen Parteien befinde sich in einer Krise, weil sie weder genug Mittel noch Kandidaten hätten. Allerdings könnten unpopuläre Entscheidungen der Machtorgane, ökologische Probleme und Korruption die örtlichen Proteste beleben, gab die Zeitung »Kommersant« wieder. Die Regionalwahlen 2018 würden »nicht so langweilig« werden wie die Präsidentschaftswahl.

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