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  • Palmyra - Ein Essayfilm

Auf der Spur der Steine

Geschriebene und vernichtete Geschichte: der Dokumentarfilm »Palmyra«

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein »Essayfilm« sei das, heißt es ehrlicherweise, denn breiten Raum nehmen die Worte des Autors ein. Die Genrebezeichnung scheint gegen mögliche Einwände vorzubauen, da heute allgemein vom Dokumentarfilmer erwartet wird, dass er sich hinter das Gezeigte zurückziehe. Arbeiten von Alexander Kluge oder Werner Herzog gegenüber fühlt man sich via Objektivität im Vorteil. Diese Objektivität ist aber selbst bloß Schein, da es kein Arrangement ohne Intention gibt, und das ist treffenderweise zugleich, wovon »Palmyra« handelt: Wie viel Konstruktion und Fälschung liegt in der Herstellung des Authentischen?

Es geht um Steine, jene Ruinen von Palmyra, die 2015 von Truppen des Islamischen Staats zu Teilen zerstört wurden. Die Einnahme und Verwüstung der Region hat die Welt beschäftigt und wurde allgemein als Angriff auf das Weltkulturerbe verstanden. Der Dokumentarfilmer Hans Puttnies will dagegen die Zerstörung der Grabstätten als Etappe eines viel längeren Vernichtungsprozesses zeigen. Er hat die Ruinen ein paar Jahre vor ihrer Zerstörung gefilmt. Durch den Bürgerkrieg ist aus dem vorhandenen Material ein anderer Film entstanden. Die Geschichtsschreibung wurde von der Geschichte eingeholt.

Am Anfang steht eine produktive Fehlleistung. »Es gibt keine Geschichte«, sprudelt es zeitgemäß, »nur eine Vielzahl vergangener Gegenwarten«. Dieser Satz ergibt weder vorn noch hinten einen Sinn, denn vergangene Gegenwarten sind Geschichte, und es ist kein Grund ersichtlich, aus dem Historiographie nicht eben darin bestehen sollte, jener Vielzahl auf die Spur zu gehen. Dass Puttnies genau das tut, macht seinen Irrtum produktiv. Wie fast alle Archäologie stand auch die Bemühung um Palmyra im Zusammenhang kolonialer Politik. Der Erhalt der Ruinen war verbunden mit der Vernichtung »gewachsener arabischer Geschichte« - der Sprengung umgebender Bauten sowie der Umsiedlung aller dortigen Bewohner im Jahr 1930.

Der Film dekonstruiert die Idee des Weltkulturerbes, indem er zeigt, dass die Attitüde des Bewahrens ebenso auf Zerstörung beruht; die Idee eines antiken Kulturguts erweist sich als abstrakt und nachträglich konstruiert. Dieser Zugriff bleibt auch dann interessant, wenn der Autor mal die Kontrolle über seine Gedanken verliert. Dass er die Ermordung des syrischen Archäologen Khaled Asaad mit den Worten kommentiert, der sei in der medialen Rezeption als »Märtyrer der Weltkultur« verklärt worden, ist mindestens fahrlässig, da zwischen einem Opfer und einem Märtyrer eine fundamentale Differenz liegt.

Die Menschen schweigen wie die Steine, oder sie reden und man hört nicht, was sie sagen. Denn über allem liegt die Musik oder die Stimme des Autors. Lange Zeit wirkt dieser »Essay« wie ein Stummfilm, Tonspur und Bildspur gehen getrennt. Wenn das etwas bedeuten soll, dann wohl dies, dass auch die Ruinen selbst bloß noch visuell in unserer Gegenwart sind und alles, was einmal um sie geschah und ihre Bedeutung ausmachte, unwiederbringlich ist. Der Gegenstand ist Vergangenheit, seine Bedeutung von heute. Der gestische Charakter der Musik und die wenig elaborierte Kameraarbeit können nicht verdecken, dass wir es mit einem durchweg postmodernen Zugriff auf Geschichte zu tun haben, der sich in jedem einzelnen Moment selbst verleugnen muss.

Dass am Ende dann das streng gehaltene Gestaltungsprinzip gebrochen wird, hat hingegen mehr als bloß methodologischen Sinn. »Nicht die seltenen Dinge sind wertvoll, sondern die Menschen«, schreibt der Autor im Pressetext. So ist folgerichtig, dass die letzte Sequenz dieser stummen Dokumentation ganz einem jener Menschen gehört, die dort leben und unmittelbar betroffen sind.

»Palmyra - Ein Essayfilm«. Deutschland 2017. Regie und Drehbuch: Hans Puttnies. 90 Min.

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