»Es braucht klare Kante - und Antworten auf Unmut«

Die Chemnitzer Linkspartei-Politikerin Susanne Schaper plädiert für mehr Dialog in der Stadtbevölkerung und fordert Hilfe von außen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

In Chemnitz ist ein Mensch getötet worden. Die mutmaßlichen Täter sind Zuwanderer. Teile der Stadtbevölkerung hatten danach keinerlei Skrupel, gemeinsam mit Rechtsextremen auf die Straße zu gehen. War das für eine Kennerin der Stadt und der Szene eine Überraschung?

Ja, das war es, obwohl wir einiges gewöhnt sind. Für bekennende Linke war es noch nie ganz leicht, in Chemnitz zu leben. Dass aber rechte Gruppen wie »Pro Chemnitz«, die AfD und Hooligans den tragischen Tod eines jungen Menschen für ihre Zwecke ausschlachten können, obwohl die Ermittlungen etwa zum Tatmotiv noch nicht abgeschlossen sind, und dass Menschen gemeinsam mit Hooligans und Neonazis demonstrieren und sagen, man wolle doch nur seinen Unmut kundtun und sei gar nicht rechts - das erstaunt dann doch. Gleichzeitig zögern viele Bürgerliche, auf Gegendemonstrationen zu kommen, weil sie das jahrelange Mantra der sächsischen CDU im Hinterkopf haben: Wer gegen Rechts auf die Straße geht, ist links oder linksextrem. Da tut es jetzt Not, ein Bündnis aufrecht zu erhalten, das sich wenigstens in dieser Frage einig ist: dass der Tod von Daniel H. nicht zum Vorwand für Ausländerhass werden darf.

Chemnitz erlebt seither viel überregionales Medieninteresse. Manche klagen, es werde zu pauschal über die Stadt und ihre Bürger gesprochen. Wie wirkt sich das aus?

Es trägt zur weiteren Spaltung der Stadtgesellschaft bei. Es fühlen sich auch Menschen angegriffen, die nicht mit den Rechten marschiert sind und sich jetzt in Sippenhaft genommen sehen. Manche Medien tun so, als handle es sich um ein typisch Chemnitzer Problem. Ich bin aber überzeugt, dass so etwas auch andernorts hätte passieren können; in Kandel etwa gibt es nach dem Mord an einer 15-Jährigen ja noch immer Demonstrationen. Dass in Chemnitz jetzt etwas explodiert ist, hat aber natürlich auch Voraussetzungen. Die Bewegung »Pro Chemnitz« um Martin Kohlmann ist seit Jahren aktiv; wir halten dort und bei anderen rechtsextremen Aktivitäten ebenso lange dagegen.

Viele Journalisten haben deshalb gezielt auch bei mir angefragt, weil bekannt ist, wie oft mein Abgeordnetenbüro auf dem Sonnenberg angegriffen wurde. Klar: Es gab etwa 22 Anzeigen und genau so viele Verfahrenseinstellungen. Aber gleiches erleben auch Abgeordnete in anderen Städten und Bundesländern. Weil es jetzt manchmal so klingt, als sei Chemnitz besonders braun, fühlen sich nicht wenige Chemnitzer in Misskredit gebracht. Und das spaltet.

Was lässt sich dagegen tun?

Ich hoffe, dass zum Beispiel das »Wir sind viele«-Konzert einen Beitrag geleistet hat, als 65 000 Menschen für eine andere Gesellschaft auf die Straße gingen und die Bilder bundesweit zu sehen waren. Wie nachhaltig das sein wird und wie viele der bisher nicht Engagierten das aufgerüttelt hat, muss man sehen. Ich hoffe, dass wir wieder zu einem friedlichen Miteinander kommen, über tatsächliche Probleme reden und den Rechtsextremen dann gemeinsam entgegen treten.

Welche Räume kann die Kommunalpolitik dafür schaffen?

Das müssen wir im Stadtrat jetzt überlegen. Es muss Plattformen geben, wo Menschen den Unmut loswerden können, der in vielen Fällen tiefere Ursachen hat als das Thema Flüchtlinge, und Antworten auf ihre Fragen erhalten. Leider meinen viele, ihren Protest wirksam ausdrücken zu können, indem sie sich an die Seite von Rechten stellen. Da werden Grenzen verwässert.

Dagegen etwas zu unternehmen, ist eine große Aufgabe gerade auch für uns in der LINKEN. Wir müssen klar Kante zeigen und antifaschistisch sein, aber gleichzeitig auch auf die Fragen der Leute reagieren. Wir bieten schon jetzt zusätzliche Bürgersprechstunden an; die Stadtratsfraktion erwägt, eine öffentliche Sitzung durchzuführen. Vielleicht kann man fraktionsübergreifend Foren schaffen. Ich denke, dass es Bereitschaft auch bei SPD und Grünen gibt, mit denen im Rat ja ein Bündnis besteht.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat Chemnitz besucht und angekündigt, die Stadt könne mit zusätzlichen Fördermitteln rechnen. Welche Erwartungen gibt es an Land und Bund?

Hilfe versprochen haben viele; nun werden wir sie an ihren Taten messen. Wir hoffen, dass wir, wenn es um Fördermittel geht, endlich auch mal als Großstadt wahrgenommen werden. In Sachsen dreht sich vieles nur um Dresden und Leipzig. Das nehmen die Menschen wahr. Ob wir über das Theater reden, das Stadion oder Investitionen in das Klinikum: Chemnitz macht eigentlich alles selbst. Es wäre gut, wenn endlich einmal honoriert würde, was diese Stadt in den vergangenen Jahren geleistet und wie sie sich gemausert hat. Jeder, der hier zu Besuch ist, staunt und sagt: Eigentlich ist diese Stadt ein Geheimtipp.

Jetzt ist Chemnitz bekannt - aber unrühmlich.

Das ist für mich als geborene Karl-Marx-Städterin und Chemnitzern Teil der Tragödie und lässt mich kaum schlafen, geschweige denn zur Ruhe kommen. Ich sehe als LINKE natürlich die Probleme der Stadt. Aber als Vorsitzende einer Ratsfraktion, die seit Jahren versucht, diese auch voranzubringen, empfinde ich es als äußerst tragisch, was gerade passiert.

Die Folgen werden die Stadt noch eine Weile beschäftigen. Im Frühjahr ist Kommunalwahl. Wie groß ist die Sorge vor einem Rechtsruck?

Die Sorge gibt es zwar, aber so weit kann und will ich jetzt eigentlich gar nicht denken. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist, vermeintlichen Stimmungen hinterher zu laufen. Ich weiß, dass wir als LINKE konsequent und erkennbar sind, und bin überzeugt, dass es auch im Licht der aktuellen Ereignisse falsch wäre, etwas an unseren grundsätzlichen Positionen zu ändern.

Wir werden unsere Haltung zum Thema Flüchtlingspolitik nicht aufgeben. Aber wir müssen stärker darüber sprechen, wie sich unser Land verändert und was politisch getan werden muss, damit wir gesellschaftliche Kontroversen mit Anstand und Friedfertigkeit lösen. Wir setzen - auch in der Frage, wie mit straffällig gewordenen Zuwanderern umgegangen wird - auf den Rechtsstaat, und gerade deshalb kämpfen wir beispielsweise im Landtag um eine gut ausgestattete Polizei und Justiz. Wenn, wie in Sachsen geschehen, alles kaputt gespart wird, entstehen natürlich Probleme. Das muss man benennen. Und das tun wir.

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