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In Russland beginnt das Pazifische Zeitalter

Die Beziehungen mit den ostasiatischen Staaten werden intensiviert

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eine strategische Neuausrichtung. Drei Tage lang diskutierten hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Politik auf dem heute zu Ende gehenden Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok über die Entwicklung des russischen »fernen Ostens«.

Die Wahl des Ortes ist kein Zufall. Die russische Regierung möchte von der wachsenden weltwirtschaftlichen Bedeutung Südostasiens profitieren und forciert die Entwicklung der Stadt zu einem regionalen Wirtschafts- und Finanzzentrum.

Ostasiatische Zukunftswerkstatt

Das Östliche Wirtschaftsforum in Wladiwostok wurde erstmalig im Jahr 2015 ausgerichtet und tagt seitdem jedes Jahr. Nach Angaben der Organisatoren nahmen im letzten Jahr über 6000 Teilnehmer aus mehr als 60 Ländern teil.

Es verfolgt das Ziel, die Wirtschaftsbeziehungen Russlands mit den südostasiatischen Pazifikstaaten zu verbessern und die Entwicklung des krisengebeutelten Osten Russlands voranzutreiben. Damit reagiert die russische Regierung zum einen auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung Südostasiens und zum anderen auf die verstärkte Ausrichtung der Vereinigten Staaten auf den pazifischen Raum (»Pivot to Asia«).

Bereits im Vorfeld jubelte die Wirtschaftszeitung »Kommersant«, die prominent besetzte internationale Gästeliste des Forums sage viel über die Erfolge Russlands in Asien aus. Dieses Jahr reisten die Ministerpräsidenten Japans, Shinzo Abe, und Südkoreas, Lee Nak Yeon, sowie die Präsidenten Chinas, Xi Jinping, der Mongolei, Khaltmaagiin Battulgam, und Russlands, Wladimir Putin zu einem gemeinsamen Podiumsgespräch an.

Dazu orientiert sie sich an klassisch neoliberalen Konzepten: Nach chinesischem Vorbild wurden im Jahr 2015 insgesamt zwölf Regionen des Föderationskreises Ferner Osten für die nächsten siebzig Jahre zu sogenannten Territorien fortgeschrittener Entwicklung erklärt. Für Investoren gelten hier Steuervergünstigungen und vereinfachte administrative Bedingungen. Anders als in China setzt die russische Regierung auf Deregulierung und Freihandel. Einige Häfen der Region, so auch in der Stadt Wladiwostok, sind Freihandelszonen. Um einheimisches Kapital aus ausländischen Steueroasen zurückzuholen - Zypern ist unter den russischen Oligarchen besonders populär - gibt es Pläne, die Insel Sachalin zum russischen Offshore-Zentrum auszubauen. In Wladiwostok kritisierte Russlands Präsident Wladimir Putin die »neuen Formen des Protektionismus«. »Grundlegende Prinzipien des Handels, der Konkurrenz und des gegenseitigen ökonomischen Vorteils werden abgewertet, leider zerstört und zur Geisel ideologischer Ansätze.«

Besondere Bedeutung hat für die russische Regierung die Beziehung zu China. Das russisch-chinesische Handelsvolumen wächst kontinuierlich und könnte dieses Jahr erstmals die Grenze von 100 Milliarden US-Dollar überschreiten. Für den Osten Russlands ist die ökonomische Bedeutung der Volksrepublik sogar noch größer. Der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Föderalbezirk Ferner Osten, Jurij Trutnew, sagte im Vorfeld des Forums: »Heutzutage ist China der wichtigste ausländische Partner in Russland im Fernen Osten.« Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping unterstrich seinerseits die enge Kooperation beider Länder und betonte, auch in Zukunft die Zusammenarbeit mit Russland eng zu koordinieren.

Seit dem Jahr 2010 hat China die Bundesrepublik als wichtigsten Handelspartner abgelöst. Die Sanktionen haben die wirtschaftspolitische Ausrichtung Russlands auf China weiter gestärkt. Dies hat jedoch kaum Auswirkungen auf die Außenhandelsstruktur. Sowohl nach China als auch nach Deutschland exportiert Russland hauptsächlich Öl, Gas und Metalle und importiert im Gegenzug hochwertige Maschinen, Autos und chemische Erzeugnisse. Der seit den 2000er Jahren forcierte Bau von Gaspipelines nach Südostasien wie die 2011 fertiggestellte Ostsibirien-Pazifik-Pipeline oder die im Bau befindliche Kraft Sibiriens, die für den Gastransport nach China bestimmt ist, vertieft diese Entwicklung. Das in Wladiwostok verkündete Gemeinschaftsunternehmen zwischen dem chinesischen Internetgiganten Alibaba und den russischen Unternehmen Megafon und der Mail.ru Group ist eine seltene Ausnahme für Kooperationen jenseits des Rohstoffsektors.

So ist es nicht verwunderlich, dass auf dem Forum in Wladiwostok die Themenschwerpunkte auf dem Ausbau der russischen Infrastruktur liegen. Im Zuge der chinesischen Neue Seidenstraße Initiative positioniert sich die russische Regierung als Brücke zwischen Asien und Europa.

Die geplante Modernisierung der Eisenbahn oder der Bau neuer Straßen orientiert sich jedoch weniger an den Bedürfnissen der örtlichen Bevölkerung, sondern an den Interessen der Rohstoffkonzerne. Das russische Energieunternehmen Novatek unterzeichnete Anfang der Woche eine Absichtserklärung mit dem Ministerium für die Entwicklung des Fernen Ostens über den Bau eines Flüssiggasterminals in Kamtschatka. Die für das Projekt veranschlagten 70 Milliarden Rubel fehlen für die Finanzierung von Krankenhäusern, kommunalen Wohnungen oder zur Förderung örtlicher Unternehmen in einer von hoher sozialer Ungleichheit geprägten Region.

Ein weiteres Thema der russisch-chinesischen Zusammenarbeit ist die Entwicklung der arktischen Schifffahrtsroute. Aufgrund des Klimawandels ist diese für einen zunehmend längeren Zeitraum im Jahr eisfrei, was den Warentransport von China nach Europa erheblich verkürzen würde.

Unverhofft arbeitet die russische Diplomatie an der Verbesserung der Beziehungen mit Japan. Wladimir Putin und der japanische Regierungschef Shinzo Abe führten am Montag Gespräche über das neue japanische Raketenabwehrsystem. Am Dienstag überraschte Putin mit dem Vorstoß, mit Japan bis Ende des Jahres einen Friedensvertrag »ohne Vorbedingungen« zu schließen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schwelt zwischen beiden Ländern ein Konflikt um die Inselgruppe der Kurilen.

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