Vorbehalte gegen EU-Abkommen mit Vietnam

Abgeordnete fordern fraktionsübergreifend Verbesserungen bei der Einhaltung der Menschenrechte und internationaler Arbeitsschutzkonventionen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Aus Europa kommen derzeit unterschiedliche Informationen darüber, wann das mit Vietnam vereinbarte Freihandelsabkommen in Kraft treten könnte. Die Bundesregierung sagte in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP in dieser Woche, sie gehe davon aus, dass sich noch Ende 2018 der Europäische Rat und das EU-Parlament damit befassen könnten. Derzeit werde das Gesetzespaket in alle Amtssprachen der Mitgliedsstaaten übersetzt. Ein Teil müsse die nationalen Parlamente passieren, ein anderer Teil nur Rat und EU-Parlament.

Wirtschaftskreise und die grüne Europafraktion gehen hingegen davon aus, dass eine Ratifizierung erst im zweiten Halbjahr 2019, also nach den Europawahlen im kommenden Mai, realistisch ist.

Ende 2015 hat die EU mit Vietnam den Entwurf für das Freihandelsabkommen EVFTA vereinbart. Die EU verpflichtet sich darin, innerhalb von sieben Jahren nach Inkrafttreten schrittweise Zölle auf Einfuhren aus Vietnam abzuschaffen. Vietnam sollte im Gegenzug innerhalb von zehn Jahren schrittweise auf Zölle verzichten. Profiteure sind die europäische Autoindustrie, denn eingeführte Autos werden in Vietnam derzeit mit 300 Prozent verzollt, sowie vietnamesische Billigproduzenten von Schuhen, Kleidung und Elektrogütern, weil die ihre Waren dann wirklich billig in Europa absetzen können.

In Vietnam löste das Freihandelsabkommen bei Regierung und breiten Teilen der Bevölkerung nationalen Stolz aus. Eine globalisierungskritische Öffentlichkeit wie in Europa, die durch Freihandelsabkommen Umwelt- und Sozialstandards in Gefahr sieht, gibt es nicht. In Europa hingegen hat es sich kaum herumgesprochen, dass die EU ein Abkommen mit Vietnam plant. Innerhalb der nationalen Regierungen und der europäischen Institutionen gehen die Meinungen darüber zudem weit auseinander. Wirtschaftspolitiker drängen auf Tempo, gibt es doch in dem wirtschaftlich aufstrebenden südostasiatischen Land viel zu verdienen. Zu ihnen gehört Ungarns Regierungschef Victor Orban, bei dem Vietnams Parteichef Nguyen Phu Trong diesen Monat in Budapest um Zustimmung warb sowie slowakische Politiker.

32 Europa-Abgeordnete aller großen Fraktionen von den Linken bis zu den Konservativen haben hingegen vergangene Woche in einem offenen Brief die EU-Kommission aufgefordert, in den Gesprächen mit Vietnam die Einhaltung von Menschenrechten anzumahnen. Ohne eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in dem südostasiatischen Land wäre es für sie schwierig, dem Abkommen zuzustimmen, heißt es in dem Brief. Die Unterzeichner weisen auf Rückschritte Vietnams in Menschenrechtsfragen hin, obwohl sich das Land 2015 im Vertragsentwurf zu einer Verbesserung verpflichtet hatte. Die vom Staat abhängige Justiz verhänge häufiger Haftstrafen gegen Blogger, Landrechtsaktivisten, Umweltschützer, unabhängige Gewerkschaftler und religiöse Würdenträger von zehn und mehr Jahren. Die Todesstrafe ist nicht abgeschafft. Vietnam hat in diesem Jahr ein Gesetz zur strengeren Überwachung des Internet erlassen.

Die EU forderte 2015 von Vietnam, vor der Unterzeichnung drei zentrale Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation ILO zu ratifizieren und umzusetzen, um Chancengleichheit im Freihandel zu wahren. Es sieht allerdings danach aus, dass sich Teile der EU-Administration inzwischen mit einer Zusage Vietnams zufriedengeben, die Konventionen in Zukunft zu ratifizieren. Die Konventionen betreffen die Zulassung freier Arbeitnehmerzusammenschlüsse, Tarifverhandlungen und die Ächtung von Zwangsarbeit.

Das sind für Vietnam sensible Punkte. Dort ist beispielsweise nur die unter staatlicher Aufsicht stehende Gewerkschaft VGCL erlaubt und die hat keinen einzigen der zahlreichen Streiks im Land organisiert. Akteure freier Gewerkschaften und anderer Arbeitnehmerzusammenschlüsse werden hingegen politisch verfolgt. Im Herbst 2017 nannte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström die Entführung des Ex-Politikers Trinh Xuan Thanh als zusätzliches Hindernis für das Inkrafttreten des Abkommens.

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