Eine Chance zur eigenen Weiterentwicklung

Die IG Metall will im Ruhrgebiet 400 Unternehmen dazu bewegen, im Krisenfall Mitarbeiter auszuleihen statt zu feuern

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang September machte Knut Gießler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, mit einem Vorschlag von sich reden. Seine Idee: Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie im Ruhrgebiet könnten gegenseitig Arbeitnehmer austauschen, um so einerseits dem Fachkräftemangeln zu begegnen und andererseits eine schlechte Auftragslage zu überbrücken. 400 tarifgebundene Unternehmen in der Region sollen diesen Mitarbeiteraustausch nach seinem Wunsch testweise vereinbaren.

Spruchreif ist bisher noch nichts. Mit Unternehmen und Arbeitgeberverband sollen die Überlegungen in naher Zukunft konkretisiert werden. Die Unternehmen stünden dem Modell positiv gegenüber, erzählt Mike Schürg, Sprecher der IG Metall NRW. Zu klären sei vor allem die praktische Ausgestaltung. Soll heißen: An wen können Unternehmen ihre Bedarfe nach Arbeitskräften adressieren? Wer ist für die Vermittlung zuständig - die Bundesagentur für Arbeit, Zeitarbeitsfirmen, Arbeitgeberverband oder Gewerkschaften? Wie können höhere Zumutungen für die Beschäftigten - etwa längere Arbeitswege - ausgeglichen werden?

Ganz neu ist die Idee von der sogenannten tarifvertraglichen Arbeitnehmerüberlassung nicht. In kleinerem Rahmen wurde und wird sie in Deutschland schon praktiziert. Das Prinzip ist in der Regel, dass Unternehmen sich gegenseitig für einen begrenzten Zeitraum Arbeitskräfte ausleihen. Der Arbeiter erhält das selbe Gehalt, er bleibt bei seinem eigentlichen Unternehmen angestellt und kann wieder dorthin zurückkehren. Außerdem muss der Beschäftigte der Verleihung zustimmen. Konkretes wird meist über einen Tarifvertrag geregelt. Ein Verbund von mehreren hundert Unternehmen wäre dabei allerdings ein Novum, und - nimmt man die Erfahrungswerte hinzu - eine ziemliche Herausforderung.

In Krefeld führt die IG-Metall momentan Gespräche über die Möglichkeit eines Mitarbeiteraustausches mit einem Betrieb, der in eine Schieflage geraten ist. Auch der hiesige Gewerkschafter Ralf Claessen findet die Idee sehr gut. »Manchmal reichen ja ein paar Monate für ein Unternehmen, um durch eine Auftragsdelle durchzukommen.« Auch für die Arbeitnehmer sieht er in erster Linie Chancen: »Das kann der eigenen Weiterentwicklung dienen.« Die Vorbehalte fänden sich in konkreten Gesprächen eher auf Seiten der Unternehmer. Ängste etwa, dass mit den Mitarbeitern Know-how an den anderen Betrieb wandert oder, dass die Beschäftigten dort möglicherweise Bedingungen vorfinden, die ihnen besser gefallen.

Auch der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei Mühlhoff Umformtechnik, Marc Schneimann, glaubt, dass es vor allem vom Vertrauen der Unternehmen untereinander abhänge, ob ein solches Modell Zukunft hat. Die Mühlhoff Umformtechnik GmbH hat den Austausch von Mitarbeitern in der Wirtschaftskrise ab 2009 praktiziert. Weil damals der Umsatz bei dem Autozulieferer um etwa die Hälfte einbrach, musste auf Kurzarbeit umgestellt werden. Über die Betriebsräte wurde dann Kontakt zum wenige Kilometer entfernten Unternehmen Lemke hergestellt, dass unter anderem landwirtschaftliche Maschinen produziert, und trotz Krise volle Auftragsbücher hatte.

Nach einem Besuch von rund 40 Mühlhoff-Mitarbeitern bei Lemke, entschied sich damals rund die Hälfte davon für den zeitlich begrenzten Wechsel. Warum sich damals von der rund 350-Personen starken Belegschaft nicht mehr für den Wechsel entschieden? »Gerade in so einer Krisensituation ist die Unsicherheit für Beschäftigte sehr groß«, so Schneimann. Viele hätten lieber an dem Gewohnten festgehalten, auch wenn das Kurzarbeit auf bis zu null Prozent bedeutete. Trotzdem kann der Betriebsrat dem Vorschlag, ein solches Tauschmodell auf einen größeren Radius auszudehnen, nur Positives abgewinnen. Allerdings müsste dafür ein regulierter Markt geschaffen werden, den es im Moment nicht gebe. »Es gibt einfach zu viele Leiharbeitsfirmen, mit denen die Unternehmen ihre Auftragsspitzen ausgleichen.«

Auch bei der Kooperationsinitiative Maschinenbau in Braunschweig (KIM), ein Pionier beim Austausch von Mitarbeitern unter mehreren Betrieben, wird das Instrument momentan selten genutzt. »Die wirtschaftliche Lage ist gut«, sagt eine Sprecherin, »kaum jemand möchte aktuell Fachkräfte abgeben«.

30 kleine und mittlere Betriebe aus der Region sind Mitglied der KIM. Die Initiative entstand Ende der 90er Jahre aus dem lokalen Bündnis für Arbeit heraus, als eine Antwort auf die Krise im Maschinenbau gesucht wurde. Gerade in schwierigen Zeiten wurde der Mitarbeiteraustausch erfolgreich praktiziert, berichtet die Sprecherin. Auch sie sieht den Schlüssel zum Erfolg im gegenseitigen Vertrauen der Unternehmen. In die Initiative werden bewusst keine direkten Marktkonkurrenten aufgenommen, im Zentrum stehe der Erfahrungsaustausch, gemeinsame Qualifikation und Nutzung von Ressourcen.

Als Allheilmittel für jede Krisensituation sollte der Mitarbeiteraustausch aber wohl nicht idealisiert werden. Bei Siemens in Mühlheim, wo 4500 Beschäftigte Turbinen und Generatoren produzieren, werden nach langen Debatten zwischen Konzern-spitze und Arbeitnehmervertretern in Zukunft 600 Arbeitsplätze abgebaut. Der Austausch von Mitarbeitern mit anderen Betrieben in der Region wird hier bereits seit einer Weile praktiziert. Aktuell sind nach Angaben der IG Metall elf Mitarbeiter nach Düsseldorf ausgeliehen - angesichts solch drastischer Umstrukturierungen eher ein Tropfen auf dem heißen Stein.

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