Ein Zeichen der Integration

CDU/CSU sind die beliebtesten Parteien unter Zugewanderten, auch FDP und AfD gewinnen hinzu

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem türkischen Gastarbeiter wurde mit dem Arbeitsvertrag früher das Beitrittsformular für SPD und IG Metall gleich mitgeschickt, heißt es. Heute sind Migranten längst nicht mehr automatisch links, wie eine Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration zeigt. Für die Erhebung haben Wissenschaftler gut 9000 Menschen über 18 Jahren gefragt: »Welche Partei gefällt Ihnen zurzeit am besten?«

Die größte Veränderung gegenüber der letzten Erfassung von 2016 stellt die um rund 15 Prozent gesunkene Zustimmung der Menschen zur SPD dar. Stabil blieb die Linkspartei mit rund zehn Prozent. Gewinnerinnen des Wandels sind CDU und CSU, die in der Studie gemeinsam erfasst werden und mit 43,2 Prozent neuerdings die beliebtesten Parteien unter Zugewanderten sind. Das überrascht deshalb viele, weil gerade die Unionsfraktion im Bundestag die wenigsten migrantischen Politiker stellt. Von 246 Abgeordneten haben nur 2,9 Prozent ausländische Wurzeln. Dazu zählen auch ursprünglich niederländische und finnische Politiker.

Dennoch hätten die Unionsparteien »in den letzten Jahren vermehrt darauf geachtet, Politiker mit Migrationshintergrund als Kandidaten aufzustellen«, meint der ehemalige FDP-Abgeordnete und türkeistämmige Rechtsanwalt Serkan Tören gegenüber dem »nd«. Seine Partei hat nur 2,8 Prozent hinzugewonnen. Das liege daran, dass ein Aspekt des Liberalismus, also dass der Staat gerade keine Antwort auf Probleme wie Rassismus liefern könne, teilweise schwer zu vermitteln sei, meint Tören.

Dass sich die Einstellungen von Zugewanderten mit der Zeit denen der deutschen Mehrheitsgesellschaft angleichen, überrascht den Rechtsanwalt indes keineswegs. »Das ist ein Zeichen von gelungener Integration«, meint Tören. Die Ergebnisse der Studie erinnerten daran, dass die Unterscheidung in Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ab einem gewissen Punkt sinnlos wird.

Was »Zuwanderer« oder das synonym verwendete »Migranten« heißen soll, erklären die Wissenschaftler gleich zu Beginn des Reports: Menschen, bei denen mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Doch nicht nur sie wurden befragt. Befragt wurden auch Menschen ohne Migrationshintergrund, (Spät-)Aussiedler, Türkeistämmige, Zugewanderte aus EU-Ländern und aus der übrigen Welt sowie Geflüchtete, die ab 2014 angekommen sind. Dafür wurden zweisprachige Interviewer eingesetzt, die unter anderem Arabisch, Farsi, Türkisch oder Russisch sprechen.

Dank dieser Differenzierung deckt die Studie auf, dass besonders Türkeistämmige mit der SPD unzufrieden scheinen, ihre Zustimmungswerte haben sich von 69,8 auf 37,0 Prozent fast halbiert. Zwar ist die SPD in dieser Gruppe gerade noch stärksteKraft, doch die CDU ist ihr auch hier mit 32,9 Prozent dicht auf den Fersen. Als Kontext, keinesfalls aber als sichere Begründung für den Wandel nennt die Studie Entwicklungen wie die Ankunft Geflüchteter oder auch die sogenannte Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags. Angesichts dessen kommt seit geraumer Zeit immer wieder die Frage auf, welchen Einfluss der autoritäre türkische Präsident auf die hier lebenden Türken hat.

Bei aller Diskussion über einen Rechtsruck unter Deutschtürken zeigt der SVR-Bericht, dass eine andere Gruppe deutlich konservativer eingestellt ist, nämlich Aussiedler und Spätaussiedler. Das sind Menschen, deren Vorfahren Deutsche waren, die in Osteuropa lebten und später nach Deutschland zogen. Die Nähe dieser Gruppe zur Union erklärte bereits eine Studie von 2016 mit der aussiedlerfreundlichen Politik unter Helmut Kohl (CDU). Doch deren Zustimmung zur CDU/CSU sinke stetig, in den letzten zwei Jahren um fünf Prozent. Die zweitbeliebteste Partei in dieser Gruppe ist die LINKE mit 15,6 Prozent. Die Wissenschaftler vermuten, »Themen wie soziale Gerechtigkeit, aber auch die von Teilen der LINKEN vertretene restriktive Flüchtlingspolitik könnten Gründe für die wachsende Beliebtheit in dieser Herkunftsgruppe sein«. Gleichzeitig halten die rechtsradikale AfD zwölf Prozent der Aussiedler für wählbar.

Abschließend weisen die Wissenschaftler darauf hin, dass die Bereitschaft, überhaupt eine Parteipräferenz anzugeben, abgenommen hat. Dies müsse noch weiter untersucht werden, könne aber darauf hindeuten, dass sich Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nicht hinreichend angesprochen und vertreten fühlen. Eine »deutliche Misskommunikation« zwischen Parteien und Migranten sieht auch der Architekt Majd Aldabas* aus Damaskus, der vor fünf Jahren als Student nach Deutschland eingewandert ist: »Ich kann aber nicht sagen, ob das an den Parteien oder an den Migranten liegt.« Obwohl er sich für Politik interessiere und täglich Nachrichten schaue, verstehe er die deutsche Politik bis heute oft nicht. »Das liegt natürlich nicht daran, dass Migranten zu blöd sind. Uns Syrern fehlt einfach jegliche Erfahrung mit mehr als einer Partei.«

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*Name geändert

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