Eine gefangene Frau

Der ungarischen Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter ist ein außergewöhnliches Porträt moderner Sklaverei gelungen

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Ketten sind unsichtbar, aber durch Armut und Gewalt trotzdem da: Moderne Sklaverei beruht auf Ausbeutung, die von Gewalt, Drohungen oder Machtmissbrauch gekennzeichnet ist. Den Sklaven wurde die Kontrolle darüber entzogen, was mit ihrem Körper passiert oder welche Art Arbeit sie ausüben, ohne dass sie sich aus dieser Situation befreien können. Zur Arbeit gezwungen werden sie besonders häufig in den Bereichen, die unkontrolliert und undokumentiert bleiben, wie Hausarbeit oder Prostitution. Viele werden durch Armut dazu gezwungen. Weltweit gelten 40 Millionen Menschen als Opfer moderner Sklaverei, in Europa sind es 1,2 Millionen. Ungarn zählt nach Angaben des Global Slavery Index 36 000 Opfer von Sklaverei. Eine von ihnen ist Marisch. Sie ist die Protagonistin des Dokumentarfilms »A Woman captured - eine gefangene Frau.«

Die freischaffende ungarische Regisseurin Bernadett Tuza-Ritter hat in ihrer Dokumentation eine Chance genutzt: Sie traf per Zufall eine Frau, die sich zu Hause einige Hausangestellte hält und stolz darauf ist. Entstanden ist dadurch eine enge Begleitung der 52-jährigen Marisch. Die Ungarin dient der Familie seit zehn Jahren - bei 20-Stunden-Arbeitstagen und ohne Lohn. Darauf angesprochen zeigt die Hausherrin Eta unbefangen ihre ganze Arroganz: »Lohn? Sie kann doch hier wohnen. Sie kann den ganzen Tag Kaffee trinken. Ich gebe ihr Tabak.«

Marisch hat Schulden; woher, bleibt unklar, sie sind die Grundlage ihrer Unterwerfung. Ihre Tochter musste sie in ein Heim geben, weil die Hausherrin sie nicht mehr bei sich haben wollte. Besuchen kann Marisch sie nur selten. Wenn sie nicht im Haus arbeitet, schuftet sie in einer Fabrik, den Lohn muss sie abgeben - für Kost und Logis. Freie Zeit bleibt nicht, höchstens, um mal kurz die Augen zu schließen. Ihre Unterdrückerin hat ihre Ausweispapiere konfisziert, sie darf das Haus nur mit ausdrücklicher Erlaubnis verlassen. »Einmal bin ich in den Laden gegangen, ohne zu fragen. Da wurde ich geschlagen, weil ich nicht gefragt hatte. Hätte ich gefragt, hätte sie mich nicht gehen lassen«, erzählt Marisch. Zu essen gibt es Reste, sie muss jederzeit zur Verfügung stehen, schläft auf dem Sofa. »Ich sage dir, was zu tun ist. Dein Job ist, das zu machen«, wird sie angeherrscht. Schon ab der ersten Minute des Films möchte man Eta ins Gesicht brüllen: »Mach doch selber!« Doch in dieser Position ist Marisch nicht.

Dennoch, im Verlauf des Filmes zeigt sich: Trotz Angst träumt sie davon, ihr Leben zurückzuerlangen. Die Präsenz der Kamera hilft ihr zu begreifen, dass sie dabei nicht völlig auf sich allein gestellt ist. Sie beginnt, Vertrauen zur Filmemacherin zu fassen. Nach zwei Jahren Drehzeit sammelt Marisch ihren ganzen Mut zusammen und enthüllt ihren Plan: »Ich werde fliehen.« Der Film folgt Marischs Weg zurück in die Freiheit - in der Filmbeschreibung wird dieser Weg als heroisch betitelt und das ist nicht übertrieben. Hilfe von außen hat sie nicht. Als sie doch einmal versucht, die Polizei einzuschalten, heißt es dort: Das Problem der modernen Sklaverei sei bekannt, aber da könne man nichts machen. Auch das nationale Sorgentelefon winkt ab. Marisch versucht es trotzdem. Und die Kamera bleibt sehr nah bei ihr - das macht die Eindrücklichkeit des Films aus. Es entsteht ein dichtes Porträt eines Einzelschicksals, das viele Menschen weltweit teilen.

»Ich erzähle die Geschichte von innen heraus. Obwohl es sehr unangenehme und beängstigende Dreharbeiten waren, fühle ich mich zutiefst geehrt, dass ich Marisch kennenlernen durfte und eine in Not geratene Person es mir gestattet hat, ihren Kampf um Würde festzuhalten«, sagt Tuza-Ritter. Diese respektvolle Haltung schafft eine ungewöhnliche Begegnung, die den Film ausmacht, der international bereits mit zahlreichen Preisen geehrt wurde. Jetzt kommt er in die deutschen Kinos.

Kinotermine unter: partisan-filmverleih.de/kinotermine/

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