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Knipser gesucht

Die deutschen Fußballer erspielen sich noch genug Torchancen, nur nutzen sie keine mehr

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Paris. »Der Ball muss ins Tor!« So heißt das 2012 erschienene Buch, das den Zusammenhang zwischen dem Fußball- und dem Aktiengeschäft vertieft. Die These lautet in etwa so: Der Ball ist die Strategie, und das Tor ist die Börse. Das Werk dürfte eher nicht im Bücherregal des Fußballästheten Joachim Löw stehen. Wobei sich der Bundestrainer zuletzt so ähnlich wie die Autorin Beate Sander anhörte, die eine Reihe von Ratgebern zur Geldanlage herausgegeben hat. »Man muss sagen, dass unsere mangelhafte Chancenverwertung ein Problem ist. Wir erzielen keine Tore. Und dann wird es für die gesamte Mannschaft schwierig.«

Die Diagnose klang so fürchterlich wie das Statement eines Börsianers, der gerade das meiste seines Kapitals in die falschen Aktien investiert hat. Ertrag gleich null. Für den Offensivliebhaber Löw, der schon in seiner aktiven Karriere den Blick lieber nach aufs gegnerische Tor statt aufs eigene gerichtet hat, ist das fatal. Seiner Philosophie wird damit die Grundlage entzogen. Löws Klassensprecher Mats Hummels findet die aktuelle Phase fußballerisch nämlich gar nicht schlecht. »Wir haben seit der WM kein schlechtes Spiel gemacht, aber die fehlende Abschlussqualität und das Pech sind das Problem.«

Übergreifend hat die in ihrer Historie immer für ihren Torreichtum gerühmte DFB-Auswahl in dem vergangenen Dutzend an Länderspielen karge zehn Tore erzielt - also weniger als eins pro Spiel. Sechsmal stand sogar die Null aus deutscher Sicht auf der falschen Seite. Hummels findet, die Torarmut habe mit der Verkettung vieler Umstände zu tun. Seine Empfehlung: »Wir müssten auch mal einen Abstauber rein machen oder das Glück erzwingen.« Konkret für den richtungsweisenden Auftritt beim Weltmeister Frankreich an diesem Dienstag (20.45 Uhr in der ARD) erteilte der Abwehrchef den Rat: »Vielleicht müssen wir bei einem Standard einfach mal neun Mann vorne reinwerfen.«

Dummerweise ist diese der Verzweiflung geschuldete Maßnahme schon im letzten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea - Endresultat 0:2 - schiefgegangen. Notstürmer Hummels bekam den Ball damals nach einer Flanke nur auf die Schulter statt auf den Kopf. Kurz danach fiel der erste Gegentreffer.

Dass gegnerische Torhüter immer dann zur Hochform auflaufen, wenn die deutschen Fußballer sie belagern, verstärkt die Flaute nur noch mehr. Es scheint als habe sich längst jener Teufelskreis in Gang gesetzt, bei dem Ursache und Wirkung nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Gehäuse sind in der Regel für jene Teams vernagelt, die aus irgendwelchen Gründen auf Abwege geraten sind.

Das reine Datenmaterial entlastet die deutsche Elf zunächst vom Vorwurf, zu uninspiriert oder tempoarm zu spielen. Immerhin gibt es noch genügend Chancen. In den Spielen der Nations League gegen Frankreich (0:0) und die Niederlande (0:3) wurden 39 Torschüsse notiert, was ungefähr die Bilanz wiedergibt, mit der Deutschland bei der WM erstaunte: Damals wurden in der Vorrunde rekordreife 67 Versuche gelistet, von denen zwar 20 aufs Tor, aber nur zwei ins Tor gingen. Eine fürchterliche Quote, die folgerichtig im vorzeitigen Turnieraus mündete.

Löw hat bislang kein Gegenmittel gefunden, die Abschlussschwäche abzustellen. Im Training würden die Seinen nach Belieben treffen. Im Wettkampf war es auch kein guter Einfall des 58-Jährigen, zuletzt den Angreifer Mark Uth einzusetzen. Der Neu-Schalker ist in der Bundesliga auch noch ein Null-Tore-Stürmer.

Wenn Deutschland ein Erfolgserlebnis brauchte, waren eigentlich immer seine Torjäger gefragt, die häufig genug aus dem Nichts (oder per Kopf) zuschlugen. Aber da ist derzeit niemand, der mit solchen Instinkten auffällt. Bei Timo Werner, der in 21 Länderspielen immerhin acht Treffer verweisen kann, wirkt es im DFB-Dress neuerdings so, als befalle ihn in letzter Instanz die Angst. Ähnlich sieht es bei den Hoffnungsträgern Julian Brandt und Leroy Sané aus, wobei Letzterer gegen die Niederlande die beste Chance vergab. Frei stehend hätte der Profi von Manchester City Hollands Torwart Jasper Cillessen noch fragen können, in welche Ecke er den Ball einschlagen sehen wolle. Aber der 22-Jährige zielte überhastet komplett vorbei. In seiner Länderspielbilanz stehen weiterhin: null Tore.

Löw sah in der Szene ein Beispiel, was seinen jungen Kräften noch fehlt. Vielleicht versucht es der Bundestrainer morgen mal mit Serge Gnabry. Der 23-Jährige hat im Nationalteam eine Torquote, die besser ist als die von Gerd Müller oder Miroslav Klose: zwei Länderspiele, drei Tore.

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