Der Bruch

Das Verlieren der Unschuld: Die Ausstellung »1913: Die Brücke und Berlin« im Brücke-Museum

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Dresden vor dem Ersten Weltkrieg wollten die Mitglieder der Künstlergruppe »Brücke« einen utopischen Lebensentwurf geben, der Kunst und Leben, Stadt und Landschaft, Zivilisation und Körperlichkeit in einer neuen Symbiose vereint. Doch spätestens mit der Übersiedlung nach Berlin im Jahr 1911 sollte die »Brücke« ihre Unschuld verlieren. Der gemeinsam erarbeitete Stil verlor zusehends seine Verbindlichkeit, jeder Künstler ging seinen eigenen individuellen Weg. In der Begegnung mit dem pulsierenden Großstadtleben und seiner geistigen Wachheit, aber auch mit seinen sozialen Widersprüchen und den sich radikal konfrontierenden Ideologien nahmen die Arbeiten Ernst Ludwig Kirchners eine nervöse Gespanntheit an, während Erich Heckel seinen melancholischen Lyrismus vertiefte und Karl Schmidt-Rottluff die farbstarken kubo-expressionistischen Naturdarstellungen gewissermaßen als Gegengewichte schuf.

Dem Jahr 1913, dem Vorjahr des Ersten Weltkrieges, in dem sich die Künstlergemeinschaft endgültig auflöste - Max Pechstein war schon 1912 ausgeschlossen worden - widmet sich das Brücke-Museum in einer speziellen Ausstellung. Sie setzt sich damit auseinander, in welchem Netzwerk sich Heckel, Kirchner und Schmidt-Rottluff bewegten und welche Großstadt-Motive sie ihren Arbeiten zugrunde legten. Wie sie lebten, wo sie ihren Sommer verbrachten und mit welchem künstlerischen Ertrag sie nach Berlin zurückkehrten, sind auch Themen dieser Schau. Der »Chronik«, die durch Kirchners subjektiven Blick auf die Geschichte der Gruppe geprägt ist, wird ebenso ein Kapitel gewidmet wie der Technik des Holzschnitts, mit der sich vor allem Schmidt-Rottluff in diesem Jahr intensiv beschäftigte. In einer eigens zusammengestellten Bibliothek können die Besucher originale und wieder aufgelegte Ausgaben von Romanen und Lyrik, aber auch historische Sachliteratur finden.

In Kirchners Stadtlandschaften, Darstellungen von Tänzerinnen, Varieté und Zirkus, Atelier- und Bordellszenen, die zu den »Straßenszenen« hinleiten, ist Erlebnis der eigentliche Bildgegenstand. Der Künstler steigert die Form durch Verzerrungen, Verkürzungen und irritierende Perspektiven. Die Pinselstriche werden härter und schärfer gesetzt, treffen oftmals spitzwinklig zusammen. Direkte Schraffuren treten auf, die zu einer nervösen, stark erregten Mal- und Zeichenweise führen. Stilistische Anklänge an den Futurismus sind hier im Prinzip der Simultanität und der facettenhaften Auffächerung des Dargestellten deutlich zu spüren. Kirchners Straßenbilder sind Sinnbilder der Flüchtigkeit der Existenz.

Den Sommer 1913 verbrachte Kirchner mit seiner Lebensgefährtin Erna Schilling und deren Schwester Gerda auf der Ostsee-Insel Fehmarn. Stand in den Akten vom Sommer 1911 an den Moritzburger Seen der Mensch in harmonischem Gleichklang mit der Natur, werden die Akte vom Fehmarn-Sommer 1913 als Teil der Natur dieser untergeordnet. Eine bizarr verzweigte Vegetation von zarter Farbigkeit im Vordergrund bindet die Komposition an die Fläche. Die Figuren verlieren sich fast darin.

Pechstein hatte 1912 die »Brücke« verlassen und war zu einer kubo-expressionistischen Formsprache übergegangen. In seinen Landschaften, Porträts und Stillleben wird die strenge Konstruktion mit kubischen, geometrischen Elementen bestimmend. 1913 hielt er sich in dem Fischerdorf Monterosso al Mare an der ligurischen Küste auf. Darauf geht das später geschaffene großformatige Gemälde »Fischerboot« zurück, das ebenso expressiv wie konstruktiv angelegt scheint.

Durch einen bedrohlich wirkenden helldunklen Kontrast zeichnen sich die 1912 und 1913 entstandenen Werke Heckels aus. Beschwören sie atmosphärisch schon die Endzeitstimmung des späten Kaiserreiches? Traurigkeit, Desillusion und Resignation sprechen aus motivisch so unterschiedlichen Arbeiten wie »Barbierstube« (1912, Kaltnadel) und »Beim Vorlesen« (1913/14, Aquarell). Die Figuren scheinen wie in einer Bewegung erstarrt zu sein. Auch Heckel fand 1913 in dem Flecken Osterholz an der Flensburger Förde jenes Ambiente, das ein neues abstrahierendes Element in seine Landschaftsbilder brachte und der Geistigkeit seines künstlerischen Anliegens entsprach. Die durch die kristalline Brechung mit der Natur verschränkten Figuren - die badenden Akte - verkörpern die Sehnsucht nach Versöhnung des Menschen mit den Gegebenheiten der Natur. Ein kristallines Prinzip kommt in die Kunst Heckels (»Gläserner Tag« 1914, Öl auf Leinwand). Den erlebten Landschaftseindruck band er in ein kompositorisches Gefüge aus großzügig flutenden Linien ein, die eine stille, aber stringente Dynamik erzeugen.

Geleitet von der Suche nach ursprünglichen Ausdrucksweisen geriet wiederum Schmidt-Rottluff in den Bann primitiver Kunst und verarbeitete die archaische Formensprache der Naturvölker. In seinen Aktdarstellungen des Jahres 1913 suchte er das ungebrochene, ganzheitliche Verhältnis des Menschen zur Natur einzufangen. Auf Empfehlung Max Pechsteins zog er sich nach Auflösung der »Brücke« zu einem mehrmonatigen Sommeraufenthalt nach Nidden an der Kurischen Nehrung im äußersten Ostpreußen zurück. Sein archaischer Figurenstil fand im Holzschnitt zu einer außergewöhnlichen Steigerung und Monumentalität. Eine Intensivierung erfahren die Kompositionen durch die Verwendung unregelmäßig zugeschnittener Holzstöcke, die das Brücke-Museum aus eigenem Bestand hier präsentiert. Tief schneidet der Künstler in das Holz hinein und arbeitet scharfe Kontraste heraus. Auf fast brutale Weise, mit krassen Deformierungen, wird die elementare Sinnlichkeit seiner Akte herausgestellt. Während seine Kollegen die Hektik der Großstadt mit ihren Licht- und Schattenseiten zu Gleichnissen mit starker Symbolkraft inspirierten, behielt für Schmidt-Rottluff die Naturerfahrung Priorität. In der Zeichnung wie Malerei schuf er Sinnbilder des Zeitlosen.

Schon vor Auflösung der »Brücke«-Gemeinschaft im Mai 1913 haben die Künstler einen individuellen Stil entwickelt, sodass der Bruch für sie nur noch einen weiteren Schritt zur inneren und äußeren Selbstständigkeit bedeutete. Die von Kirchner verfasste »Chronik« war der Auslöser, der zum Bruch der »Brücke« führte. In der »Chronik« sprach er sich die Rolle eines Inspirators der neuen Bildideen und Techniken zu. Das stieß bei den anderen auf Widerstand. Doch auch danach stellten diese Künstler wieder gleichzeitig bei der Berliner Secession aus.

Rückwirkend werden sich zwei Ausstellungen mit weiteren zentralen Jahren der »Brücke« beschäftigen, mit 1905, dem Gründungsjahr, und 1911, dem Umzugsjahr von Dresden nach Berlin. Auch hier sollen nicht nur die künstlerischen Zäsuren, sondern eben auch der ganze kulturhistorische Kontext der Künstlergemeinschaft »Brücke« in den Blick genommen werden.

»1913: Die Brücke und Berlin«, bis 2. Dezember, Brücke-Museum,

Bussardsteig 9, Dahlem.

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