Merkel sucht den Präsidenten

Der Staatsbesuch der Bundeskanzlerin in der Ukraine steht im Zeichen des Superwahljahrs

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

In ukrainischen Medien kommt Außenpolitik in der Regel nur am Rande vor. Dennoch gehörte die Rücktrittserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom CDU-Parteivorsitz zu den größten Neuigkeiten der letzten Tage. Überraschend ist das nicht. Für kaum ein Land steht mit ihrem potenziellen Abschied aus der Politik so viel auf dem Spiel wie für die Ukraine. Obwohl Teile des ukrainischen Establishments die 64-Jährige als zu pragmatisch im Umgang mit Russland kritisieren, bleibt Merkels Regierung der wichtigste Verbündete Kiews in Europa und vielleicht sogar weltweit. Deshalb wäre es durchaus im Interesse der Ukraine, wenn Merkel trotz aller Misserfolge der Großen Koalition bis 2021 im Amt bleibt.

Kaum ein europäischer Politiker besuchte in den vergangenen vier Jahren so oft die deutsche Hauptstadt wie der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Am Donnerstag kommt Merkel nun selbst zum ersten Mal seit 2014 nach Kiew. Offiziell soll es wieder um die »üblichen« Themen gehen: die Lage im Donbass, die Umsetzung des Minsker Abkommens und die Situation auf der von Russland annektierten Krim. Außerdem dürften die zunehmenden Konflikte zwischen Russland und der Ukraine im Asowschen Meer auf die Tagesordnung rücken.

Wirkliche Fortschritte bezüglich dieser Fragen sind am Donnerstag jedoch nicht zu erwarten - und auch an der grundsätzlichen Lösung des Donbass-Konfliktes bis zur ukrainischen Präsidentschaftswahl am 31. März gibt es große Zweifel. Tatsächlich scheinen just die Präsidentschaftswahlen und die darauffolgenden Parlamentswahlen im Herbst der eigentliche Grund für Merkels Besuch zu sein. Vor dem ukrainischen Superwahljahr 2019 stecken Berlin und Brüssel in eine Zwickmühe: Keiner der aussichtsreichen Kandidaten scheint Deutschland und die EU zufriedenzustellen. Die engen Kontakte zwischen Merkel und Poroschenko scheinen daran auch nichts zu ändern.

Bei den Präsidentschaftswahlen gilt die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko als Favoritin. Sie führt unverändert alle wichtigsten Umfragen an - allerdings kommt sie meist nicht einmal auf 25 Prozent der Stimmen. Der Vorsprung vor ihren wichtigsten Konkurrenten ist dennoch solide. Während die Favoritenrolle Timoschenkos klar zu sein scheint, steht es noch in den Sternen, wer gegen sie in der fast sicheren Stichwahl antreten wird. Nicht auszuschließen ist, dass der amtierende Präsident Poroschenko von der Situation profitiert, obwohl er nach Umfragen derzeit nur denn vierten oder auf dem fünften Rang einnimmt.

Eine Stichwahl zwischen Poroschenko und Timoschenko wäre für Berlin sicher keine gute Option. Internen Quellen aus dem ukrainischen Präsidialamt zufolge machte Merkel während der letzten Gespräche Poroschenko gegenüber keinen Hehl daraus, dass sie mit seinem politischen Kurs und vor allem mit dem fehlenden Reformwillen unzufrieden ist. Lange galt der ukrainische Präsident im Westen als konstruktiver und ruhiger Partner, der - obwohl Teil der Oligarchie - in der Lage ist, wichtige Entscheidungen durchzusetzen. Allerdings scheint Berlin auch mit Timoschenko und ihrer miserablen Bilanz als Ministerpräsidentin wenig anfangen zu können. Auch wenn Merkel sich während der Präsidentschaft des nach Russland geflohenen Wiktor Janukowitsch höchstpersönlich für die Freilassung Timoschenkos aus der Haft eingesetzt hat, steht sie in der Öffentlichkeit für fragwürdige Gasdeals mit Russland

Nun will die Bundeskanzlerin vor Ort mehr über die undurchsichtige Ausgangslage vor 2019 erfahren. Deswegen trifft sie sich nicht nur mit Poroschenko und den ukrainischen Ministerpräsidenten Grojsman, sondern auch den Fraktionsvorsitzenden der Parlamentsparteien. Ob sie unter den vermeintlichen Präsidentschaftskandidaten wie dem als liberal geltenden Lwiwer Bürgermeister Andrij Sadowyj, Exverteidigungsminister Anatolij Hryzenko, Rocksänger Swjaoslaw Wakartschuk oder Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj jemanden finden kann, der für Deutschland eine passablere Option wäre, ist ungewiss.

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