Ein verfrühter Schlussstrich

NSU-Untersuchungsausschuss in Sachsen hält seine letzte öffentliche Sitzung ab

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Falko K. war zufällig in der Nähe, als Ende 1998 ein Edeka-Markt in Chemnitz überfallen wurde. Die Täter nahmen den jungen Mann gezielt ins Visier und schossen auf ihn. Er war, wie sich später herausstellte, eines der ersten Opfer des »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU). Mit Überfällen bestritt das damals in Chemnitz lebende braune Terrortrio seinen Lebensunterhalt.

An diesem Montag, fast genau sieben Jahre nach Enttarnung des NSU, tritt Falko K. im sächsischen Landtag auf - als Zeuge Nummer 68 im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss im Dresdner Parlament. Danach hört das Gremium den Bürgermeister von Johanngeorgenstadt sowie eine Anwältin, die im Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe & Co. Vertreterin der Nebenklage war. Wenn diese in der 39. Sitzung des Gremiums alle Fragen beantwortet hat, ist dessen Arbeit faktisch beendet: Weitere Zeugenvernehmungen finden nicht mehr statt. Die Erkenntnisse werden nur noch in einen Abschlussbericht gegossen, der wohl im Frühjahr 2019 vorliegen wird - gut ein halbes Jahr vor der Landtagswahl im September.

Kerstin Köditz ist nicht wirklich glücklich mit der Bilanz des Gremiums. »Einige zentrale Fragen werden unbeantwortet bleiben«, sagt die Abgeordnete der LINKEN und Vizevorsitzende des Ausschusses. Eine wichtige ist die, warum Ermittler zwar dem in Chemnitz abgetauchten Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe schnell auf die Spur gekommen waren, es aber nicht zu einer Verhaftung kam. Köditz glaubt, der Ausschuss hätte dazu mehr Erkenntnisse gewinnen können, wenn mehr Zeugen befragt worden wären. Daran, gibt sie zu verstehen, war eine Mehrheit nicht interessiert: »Theoretisch hätte es mehr zeitlichen Spielraum gegeben, praktisch liegen die Kräfteverhältnisse anders.« Schon zur Halbzeit des Ausschusses hatte sie das Desinteresse bei einigen Abgeordnetenkollegen beklagt. Auch die Initiative »NSU Watch« spricht von einem »verfrühten Ende« der Arbeit.

Der Ausschuss hat seit Einsetzung im April 2015, die mit den Stimmen von LINKE und Grünen erfolgte, immerhin ein größeres Pensum bewältigt als sein Vorgänger: Der hatte von 2012 bis zur Landtagswahl 2014 nur 34 Zeugen hören können. Wesentliche Erkenntnis damals: Polizei und Geheimdienst in Sachsen haben die abgetauchten Nazis nicht gedeckt oder unterstützt. Freilich: So wenig, wie die Behörden für den NSU tätig waren, so wenig hätten sie auch gegen ihn unternommen. Das ging aus einem Minderheitenvotum der damaligen Opposition von LINKE, Grünen und SPD hervor.

Der neue Ausschuss hatte ein ambitioniertes Programm: Er widmete sich der Fahndung nach dem NSU in Sachsen ebenso wie den Raubüberfällen in Chemnitz und Zwickau, den sächsischen Ermittlungen zur Česka-Pistole, die dem NSU als Mordwaffe diente, sowie den Vorfällen am 4. November 2011, als Zschäpe in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 den Unterschlupf des Trios anzündete, nachdem Mundlos und Böhnhardt in Eisenach in einem Wohnmobil erschossen aufgefunden worden waren.

Auch der Umgang mit den Akten in Sachsen wurde beleuchtet - der viel Kritik auf sich zog. Die Unterlagen zum Edeka-Überfall in Chemnitz im Jahr 1998 etwa wurden allesamt bereits geschreddert. Das vorhandene Aktenmaterial reichte freilich immer noch, um 1600 Bände zu füllen. Nicht wenige seien Verschlusssachen, kritisierte Köditz - was, ebenso wie die unter Geheimhaltung erfolgten Vernehmungen von Verfassungsschützern, Auswirkungen auf den Abschlussbericht habe: Man dürfe »am Ende die Öffentlichkeit nicht über alles informieren, was relevant ist«.

Auch mit dem Bericht werde die Aufklärung nicht beendet sein, fügt sie hinzu: Es gebe »für Sachsen keinen Schlussstrich«. Dass es allerdings einen weiteren Ausschuss gibt, hatte die Politikerin bereits zur Halbzeit bezweifelt. Auch »NSU Watch« erwartet indes vom Ausschuss »klare Empfehlungen« dazu, wie eine »institutionalisierte und verstetigte Aufklärung« im Freistaat aussehen könnte. Die Initiative fordert das Land zudem auf, einen Entschädigungsfonds für Angehörige der Opfer des NSU einzurichten. Als Vorbild wird Thüringen genannt, wo im Sommer 2018 ein mit 1,5 Millionen Euro gefüllter Fonds beschlossen worden war.

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